"Die Unschuldsvermutung gilt für alle." Kanzler Sebastian Kurz und die ÖVP spulen diesen Satz derzeit bei jedem öffentlichen Statement ab. Der Satz hat Gewicht – immerhin geht er auf einen Grundsatz der Menschenrechtskonvention zurück. Tatsächlich gilt man so lange als unschuldig, bis die Schuld erwiesen ist. Was also hat die Justiz gegen ihn in der Hand?
Kurz wird in dem 104-seitigen Konvolut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), das am Mittwoch zu Hausdurchsuchungen geführt hat, als Bestimmungstäter bei den Delikten Untreue und Bestechlichkeit geführt. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Es geht in der Causa um Berichte, Inserate und manipulierte Umfragen in der Zeitung Österreich mit dem Ziel, Kurz (der damals noch Außenminister war) zum Kanzler zu machen.
Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass für diese Machenschaften öffentliche Gelder veruntreut wurden – immerhin rund 1,3 Millionen Euro. Drahtzieher soll der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, gewesen sein.
Aus seinen Handy-Chats wurden die bisherigen Verdachtsmomente herausgelesen. Kurz dürfte zumindest gewusst haben, dass Umfragen im parteipolitischen Interesse gestaltet werden. Schmid informierte ihn, dass „die gesamte Politikforschung im Österreich nun zur Beinschab (Sabine, Meinungsforscherin und Mitbeschuldigte) wandert“. Damit habe man „Umfragen und Co im besprochenen Sinne“. In einem anderen Chat schreibt er an Kurz: „Call me Mr. Umfrage“.
Auch in die Planung soll Kurz involviert gewesen sein. Schmid schreibt ihm, dass er nicht sicher sei, ob er Sophie Karmasin (Kollegin Beinschabs und Mitbeschuldigte) „überreden“ konnte. Kurz bietet dann an, mit ihr zu reden.
Die „smoking gun“, dass Kurz konkret zum Missbrauch von Steuergeld angestiftet hat, fehlt. Die Hausdurchsuchungen im Kanzleramt, im Finanzministerium und in der ÖVP-Zentrale dienten wohl dem Zweck, Belege dafür zu finden.
Wie glaubwürdig ist das?
Ob ansonsten die Chats reichen, um Kurz’ Mittäterschaft zu beweisen, wird der Richter beurteilen müssen – die Frage ist, für wie glaubwürdig er die Erzählung der WKStA hält.
Die Korruptionsjäger sind sich sicher: Kurz sei die „zentrale Person“, alle Akteure hätten in seinem Interesse gehandelt. Es könne „ausgeschlossen werden, dass ein „derart komplexer Tatplan von den Mitbeschuldigten ohne Wissen und Wollen des Begünstigten Kurz ausgearbeitet und umgesetzt“ wurde.
Bis das Strafverfahren abgeschlossen ist – rechtskräftig –, kann es noch Jahre dauern. So lange gilt die Unschuldsvermutung. Für die Frage nach der politischen Verantwortung gibt es indes kein fixes Regelwerk, keine endgültige Entscheidung.
Aber das ist eine andere Geschichte.
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