Bedrohung macht erfinderisch: Was Österreich von Israel lernen kann
Dauernde Angriffe und Drohungen haben Israel erfinderisch gemacht. Gemessen an seinen neun Millionen Einwohnern hat der 1948 gegründete Staat weltweit die meisten Start-ups und die höchsten Forschungsausgaben. In der Küstenebene um die Mittelmeerstadt Tel Aviv – auch „Silicon Wadi“ genannt – hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Hochtechnologie-Szene angesiedelt.
Was kann Österreich von Israel lernen? Eine rund 40-köpfige Unternehmerdelegation um Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer und Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky ging dieser Frage im Silicon Wadi auf den Grund. Man fand: Risikofreude und Inspiration.
Bergbau am Mond
Etwa das Start-up Helios. Die Menschheit will noch in diesem Jahrzehnt zurück auf den Mond, um dort seltene Metalle wie Titan, Kupfer oder Platin zu fördern. Helios entwickelt etwa ein Verfahren, das Metalle und Sauerstoff aus der Monderde trennt. Die Metalle fliegen mit der nächsten Rakete zur Erde, der Sauerstoff steht Mondbewohnern zur Verfügung – so die Theorie.
Scheitert die Idee – halb so schlimm. Hohe staatliche Förderungen machen Neugründungen in Israel einfach. Auch deshalb herrscht eine „Kultur des Scheiterns“: Sie ist finanziell verkraftbar. Die Israelis bezeichnen sich im Vergleich mit den Österreichern als „direkter“. Und: Man würde Eventualitäten und Gefahren weniger genau abwägen, bevor man ein Unternehmen gründet.
Israels Fokus liegt übrigens nicht auf dem Mondbergbau: Vor allem bei der digitalen Gesundheit, Lebensmitteltechnologie und Cybersicherheit gehören die Israelis zur Weltspitze. Bei neuen Klima- und Energietechnologien wollen sie es werden. Soltrex: ein Roboter, der Solarpanels reinigt. HydroX: eine nicht-explosive Flüssigkeit, die Wasserstoff speichert. Augwind: ein unterirdischer Energiespeicher auf Wasserbasis.
Innovation ist essenziell in der israelischen Kultur und Wirtschaft. „Es gehört zu unserer Religion, dass wir uns nicht an Regeln halten“, sagt Jungunternehmer Yoav Barlev lächelnd. „Außerdem hat uns die Tatsache, dass wir als Land von Feinden umgeben sind, kreativer gemacht.“ Israel ist in der Region auch wirtschaftlich weitgehend isoliert, der eigene Markt ist klein. Israelische Produkte müssen auf dem globalen Markt funktionieren, während Österreich oft der europäische Markt reicht.
Politisch instabil
Das Handelsvolumen zwischen Österreich und Israel war 2021 mit 700 Millionen Euro eher gering. Das soll sich ändern. „Die bilateralen Beziehungen sind so gut wie noch nie“, sagt Nikolaus Lutterotti, Österreichs Botschafter in Israel. Das liege auch an Österreichs Bemühungen beim NS-Gedenken, wie den beschleunigten Staatsbürgerschaften für Nachkommen von NS-Opfern.
Das Potenzial bei der Zusammenarbeit sei „gewaltig“, meint Mahrer. Österreichs Kompetenzen im maschinellen Bereich könnte man mit den israelischen im Tech-Sektor vernetzen. Österreich müsse sich als Forschernation nicht verstecken, betont Tursky: In Zukunftsfeldern wie künstlicher Intelligenz, Quantenforschung und Halbleiter-Industrie sei man „enorm gut aufgestellt“.
Was einer engeren Zusammenarbeit im Weg stehen könnte: Israels politische Instabilität. Nach fünf Wahlen in dreieinhalb Jahren steht Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident nun einer rechtsreligiösen Regierung vor. Erste Vorhaben, die Rechte des Höchstgerichts zu beschneiden, sorgten in Tel Aviv für Massenproteste. Auch die eher liberalen Jungunternehmer äußern in Gesprächen mit dem KURIER meist Unmut. Israels Bevölkerung sei – wie in den meisten europäischen Staaten – in ein rechtes und linkes Lager gespalten, heißt es.
Wachstum
Israels Wirtschaft wuchs dank eigener Gasreserven auch 2022 um rund sechs Prozent. Die Inflation stieg um im internationalen Vergleich niedrige 4,5 Prozent.
Weltmarktführer
Israel investierte 2021 rund 25 Milliarden Euro in sein Start-up-Ökosystem. Als vielversprechendster Wachstumsmarkt gilt der digitale Gesundheitssektor, den Israel am Weltmarkt anführt.
Aufholbedarf
Während Israel in den High-Tech-Sektoren an der Weltspitze liegt, besteht in den Bereichen Umwelttechnik, Abfallwirtschaft und Energiewirtschaft Aufholbedarf – eine Chance für in diesen Bereichen starke österreichische Unternehmen.
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