aus Tel Aviv Norbert Jessen
Erst drei Wochen wieder im Amt des Premierministers, steckt Benjamin Netanjahu bereits in einer Zerreißprobe: Seine Koalition droht an einer Entscheidung des Obersten Gerichts zu zerbrechen. Denn dieses verbietet dem altgedienten, mehrfach vorbestraften Politiker Arye Deri, die ihm zugeteilten Ministerien für Inneres und Gesundheit zu übernehmen. Netanjahus Koalitionspartner forderten bereits, die Entscheidung des hoch angesehenen Obersten Gerichts zu ignorieren: "Ohne Deri keine Regierung." Die Folge wäre eine Verfassungskrise Israels.
Deri, der schon 2000 zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, hatte in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung 2021 seinen Richtern versprochen, sich aus der aktiven Politik zu verabschieden – stellte sich dann 2022 aber doch zur Wiederwahl. "Ihre Worte waren leere Worte", wies ihn ein Oberrichter deswegen zurecht.
Die Entscheidung des Obersten Gerichts fällt parallel mit den Plänen der neuen Regierung, die Zuständigkeit des Obersten Gerichts stark einzuschränken. Ein sogenanntes "Umgehungsgesetz" soll dem Parlament statt wie bisher dem Obersten Gericht die letzte Zuständigkeit bei der Annahme und Änderung von Grundgesetzen zugestehen. Auch soll die Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern geändert werden. Die Opposition warnt: "Korrupte Politiker wählen dann ihre Richter selbst."
"Das ist keine Reform, das ist ein Pogrom", befand Jehuda Weinstein, ehemaliger Rechtsberater Netanjahus.
Massenproteste in Großstädten
Von der Gesetzesänderung würde auch Netanjahu selbst profitieren: Der neue alte Premier ist wegen Korruption, Betrug und Veruntreuung angeklagt. Er hofft darauf, sich dem laufenden Strafverfahren entziehen zu können.
Am Samstag kam es zu ersten großen Massenprotesten gegen die Regierung in allen Großstädten – 80.000 waren es allein in Tel Aviv. Neue Proteste sind zu erwarten, sollte Netanjahu dem Gericht nicht folgen – und damit weitere unruhige Zeiten in Israel.
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