Anlassfall Strache: Politologe Plasser gegen Residenzpflicht für Politiker
Die Kandidatur von Heinz-Christian Strache bei der Wien-Wahl hat eine Debatte um Wohnsitze von Politikern ausgelöst.
In Wien ist es eine rechtliche Voraussetzung, hier den Hauptwohnsitz zu haben, wenn man für die Gemeinderats- bzw. Landtagswahl kandidiert.
Bei der Nationalratswahl gibt es keine gesetzliche Wohnsitzpflicht - hier werden auch Kandidaten auf Landes- und Regionallisten gesetzt, die wenig bis keinen Bezug zur Region haben (mehr dazu hier).
Ist es problematisch, wenn ein Wahlkreisabgeordneter nicht unter jenen Menschen wohnt, die er im Nationalrat repräsentiert?
Der KURIER hat darüber mit dem Politikforscher Fritz Plasser gesprochen.
Plasser stellt außerdem die Wiener Wohnsitzregel in Frage und möchte nicht in der Haut jener Beamten stecken, die über Straches Zulassung zur Wien-Wahl entscheiden müssen.
KURIER: Sollte ein Politiker, der für den Nationalrat kandidiert, auch dort wohnen, wo er antritt?
Fritz Plasser: Eine Residenzpflicht erschiene mir als ein zu großer Einschnitt. Ich gehe davon aus, dass ein überwiegender Teil der Abgeordneten ohnehin einen regionalen Bezug hat. Die Ausnahmen sind oft Quereinsteiger, die keine parteipolitische Basis vor Ort haben, von einer Partei aber platziert werden möchten.
Sind Expertise und Persönlichkeit also wichtiger als Verwurzelung?
Viele, auf die eine solche Praxis zutrifft, bringen eine Kompetenz mit, die die Qualität des Klubs erhöht. Man kann mit solchen Persönlichkeiten auch Akzente setzen, die von den Menschen in den Regionen wahrgenommen und geschätzt werden. Das hat durchaus einen mobilisierenden Effekt.
Solche Kandidaten könnte man ja auch auf die Bundesliste setzen. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat das bei den vergangenen zwei Wahlen teils so gehandhabt.
Diesen Spielraum haben vor allem die Großparteien, weil sie davon ausgehen können, dass die ersten vier bis sechs Mandate auf der Bundesliste fix sind. Bei kleineren Parteien ist oft nicht absehbar, wer über ein Bundesmandat einziehen kann.
Aber ist die Lösung, solche Kandidaten auf eine Landes- oder Regionalliste zu setzen, nur um ihren Einzug zu sichern, dem Wähler gegenüber nicht unehrlich?
Ein solcher Kandidat sollte jedenfalls vor Ort Präsenz zeigen und sich mit dem Bundesland beschäftigt haben. Nicht nur im Wahlkampf. Er hätte aus meiner Sicht eine innere Verpflichtung dazu - schließlich ist er dort gewählt worden.
Würde ein Abgeordneter die Rechnung präsentiert bekommen, wenn er das nicht tut?
Ja, aber das ist nur eine Vermutung. Auf regionaler Ebene kann sich dieser Unmut sicher zeigen.
Wie stark ist der persönliche Bezug zu einem Abgeordneten, der im fernen Wien arbeitet, überhaupt?
Wir haben das Instrument der Vorzugsstimmen, und hier spürt man sehr gut, wenn ein Kandidat persönlich mobilisieren und glaubwürdig vermitteln konnte, für die Interessen der Bevölkerung zu stehen. Bei einem Kandidaten des niederösterreichischen Bauernbunds ist beispielsweise ein positives Vorzugsstimmenergebnis vorprogrammiert. Es ist heute, durch die sozialen Medien, aber auch möglich, sich eine eigene Basis aufzubauen.
Der Gedanke hinter den Landes- oder Regionallisten war ja ursprünglich, dass diese Kandidaten die Interessen der örtlichen Bevölkerung im Parlament vertreten. Ist das eine naive Vorstellung?
Diese Vorstellung war nie ganz ernst zu nehmen. Sicher gibt es Abgeordnete, die ihre Tätigkeit so definieren, weil sie selbst aus einer bestimmten Berufs- oder Altersgruppe oder eben aus der Gegend kommen. Solange es den Eindruck gibt, dass diese sich akzentuiert zu spezifischen Belangen äußern, gehe ich davon aus, dass die Wähler diese "Norm des demokratischen Parlamentarismus", wenn man so will, selbst nicht so rigide interpretieren.
Kommen wir zum Anlassfall Strache: Das Magistrat in Wien muss jetzt beurteilen, ob er wirklich seinen Lebensmittelpunkt in Wien oder doch in Klosterneuburg hat. Wie schätzen Sie den Fall ein?
Ich möchte diese Entscheidung nicht treffen müssen. Sie muss wirklich sehr, sehr überzeugend argumentiert sein, sonst wird das Konsequenzen haben.
Sie meinen eine Wahlanfechtung, wenn Strache kandidieren darf?
Ja, ich gehe davon aus, dass diese auch stattfinden wird, wenn man ihn von der Wahl ausschließt. Wir können nur hoffen, dass die Begründung rechtlich ausreichend abgesichert ist.
Manche argumentieren, es wäre demokratiepolitisch bedenklich, wenn seine Kandidatur an Formalitäten scheitert. Er sei ja in Wien geboren und aufgewachsen, hätte sich hier immer politisch engagiert.
Ich würde das nicht als Formalismus sehen - es ist unsere Rechtslage. Wenn man die nicht möchte, muss man das Recht ändern, aber sicher nicht nur in Hinblick auf diese Wahl.
Nützt Strache diese Debatte mehr, als sie ihm schaden könnte?
Wenn die Entscheidung zu seinen Ungunsten ausfällt, wird er sicher den Demokratiegehalt der Entscheidung infrage stellen und seine Möglichkeiten, sich als Opfer zu präsentieren, voll ausschöpfen. Alles andere würde mich wundern. Es ist eine heikle Angelegenheit für die Behörden. Aber es gibt eben Rechtsnormen, und vor denen kann man sich nicht drücken.
Würden Sie das Wahlrecht in Hinblick auf die Residenzpflicht ändern?
Bei der Nationalratswahl gibt es diese Pflicht nicht, bei der Wiener Gemeinderatswahl schon. Das halte ich argumentativ für nicht ganz stimmig. Was für eine Residenzpflicht in Wien sprechen könnte, ist, dass diese Wahl mehr territorialen Bezug hat als eine Bundeswahl.
Aber ganz überzeugt sind Sie nicht davon?
Nein, weil es sie eben im Vergleich mit anderen Ebenen nicht gibt. Bis dato war die Residenzpflicht nie ein Thema. Der Anlassfall Strache könnte eine breitere Diskussion darüber anstoßen.
Und was wäre Ihr Ansatz für diese Diskussion?
Wie sinnhaft ist eine Residenzpflicht in einer so mobilen Gesellschaft, in der die Menschen häufig ihren Wohnort wechseln oder - was auf viele Wiener zutrifft - einen Zweitwohnsitz woanders haben. Es ist nicht mehr ganz so eindeutig, wo jemand seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat. Wenn man diese Diskussion führen will, soll man sie führen.
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