Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ-EU-Abgeordneten
Mit dem Motto "Europe first" ist SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder in den Wahlkampf gezogen. Und "orientierungslos gewordenen Othmar-Karas-Wählern" legt er ein Angebot.
Seit fünf Jahren pendelt Andreas Schieder (55) zwischen seiner Heimatstadt Wien und Brüssel und Straßburg: Eine Zeit, wo in sozialen Fragen in der EU viel erreicht worden sei, sagt der EU-Abgeordnete. In den Umfragen ist davon allerdings wenig zu spüren, die europäischen Sozialdemokraten gehen mit gehörigem Abstand zu rechten und konservativen Parteien ins Rennen um das EU-Parlament. Schieder im KURIER-Interview über den gebeutelten Industriestandort Europa, besseren Außengrenzschutz, Klimaziele und dem "Ausstieg aus dem Russengas".
KURIER: Die Umfragen für die europäischen Sozialdemokraten sehen nicht besonders gut aus. Warum? Haben die Sozialdemokraten irgendwas versäumt?
Andreas Schieder: Die Bilanz der Sozialdemokraten der letzten fünf Jahre ist sehr positiv. Besonders im Sozialbereich ist mit Sozialkommissar Nicolas Schmidt sehr viel weitergegangen: Lieferkettengesetz, europäischer Mindestlohn, Lohntransparenz-Richtlinie, Regulierung von Plattformarbeitern usw. Aber ich gebe Ihnen recht, die Umfragen sind beunruhigend, weil sie eine Weggabelung bei dieser Europawahl aufzeigen: Ob die proeuropäischen Kräfte gestärkt werden oder jene, die Europa zerstören, also die Rechtspopulisten - die FPÖ, die ID-Fraktion; der die FPÖ angehört, aber auch Fidesz.
Innenpolitik-Redakteur Bernhard Gaul und Außenpolitik-Ressortleiterin Ingrid Steiner-Gashi beim Interview mit EU-Abgeordneten Andreas Schieder
Wenn sie dazugewinnen, können sie genau das noch einmal verstärken, was viele Leute in Europa ärgert, nämlich dass zu wenig, zu wenig schnell weitergeht, indem sie blockieren. In dieser Weggabelung ist die Europäische Volkspartei unter der Führung von Ursula von der Leyen und Manfred Weber orientierungslos. Die Hälfte der Fraktion möchte am liebsten der Rechtsaußenfraktion nachlaufen, die andere Hälfte steht noch proeuropäisch in der Mitte.
Sie haben Erfolge erwähnt, aber offensichtlich sind die beim Wähler nicht angekommen.
Dafür ist der Wahlkampf zu nutzen, um klarzumachen, woran wir im Europäischen Parlament arbeiten und dass vieles nicht so stimmt, was an Negativem erzählt wird. Oft putzen sich die nationalen Regierungen an der EU ab, da dürfen wir die österreichische nicht ausnehmen. Das Thema Bürokratisierungswelle ist so etwas, was ich von der ÖVP jetzt immer wieder höre. Aber das ist zu zwei Dritteln hausgemacht. Auf der anderen Seite blockieren nationale Regierungen positive Gesetze, die sich die Menschen wünschen. Ich sage nur Steuer-Schlupflöcher schließen. Oder: Österreich wird jetzt verklagt von der Europäischen Union, weil wir noch immer keinen Klimaplan haben.
Wird es im kommenden EU Parlament zu einem Rechtsruck kommen?
Wir stehen vor dieser Grundsatzfrage: Wird es Europa, so wie wir es wollen, weiter geben oder wird es kaputt gemacht? Und das heißt, dass die Leute, die für proeuropäischen Weg stehen, auch die Parteien, die sie wählen, in die Verantwortung nehmen müssen. Gerade bei der Europäischen Volkspartei ist die angesprochene Weggabelung virulent. Die Frage ist etwa, wo diese Wähler hingehen, die bisher Othmar Karas vertraut haben, weil sie gespürt haben: Der Othmar steht für Europa, unabhängig, was die Innenpolitik von ihm verlangt. Ich möchte hier ein Angebot legen - für heimatlos gewordene Karas-Wähler.
Aber was heißt ein Rechtsruck konkret- etwa für die Umweltpolitik, für den Green Deal?
Die Lösungsfindung, die immer ein Kompromiss ist in Europa, wird schwieriger, die Sturschädeln werden sich durchsetzen, egal ob sie Orban heißen oder Nehammer oder wie auch immer sie dann im Europäischen Parlament dann heißen. Das Parlament war immer der Motor, aber wenn im Parlament die Rechts-außen Fraktionen stärker werden, wird es schwieriger, für das Europäische Parlament voranzugehen. Die globalen Krisen vom Klima über die Sicherheitsherausforderungen bis zur Frage des Industriestandorts Europa, die brauchen Entscheidungen und kein Herumlamentieren.
SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder und SPÖ-EU-Abgeordnete und EU-Parlamentsvizepräsidentin Evelyn Regner
Das ist die große Gefahr, die von rechts droht, ist, dass Europa kaputt gemacht wird. Und es heißt dann in der Sachpolitik weniger sozialen Zusammenhalt, weiterhin keine Steuergerechtigkeit in Europa, Geschenke für Superreiche, Nepotismus, Korruption. Das sind alles Fälle, die wir erlebt haben. Dort, wo Rechtsaußenparteien regiert haben, endet es vor Gericht.
Aber auch Sie setzen auf Nationalismus, im Sinne von „Europe first“.
Ich setze auf den Industriestandort Europa. Wir sehen, dass Europa zurückfällt gegenüber China und gegenüber den USA: Weil in den USA ein massives Investitionspaket unter dem Inflations Reduktions Act große Investitionen geschnürt wurde und weil in China unlauterer Wettbewerb stattfindet. Ich bin sehr für die Marktwirtschaft und für den Binnenmarkt.
Aber wenn wir zuschauen, wie wir selbst immer mehr ins Hintertreffen geraten, dann müssen wir eingreifen. Das heißt: mehr Geld in die Zukunftsherausforderungen pumpen- also in die Infrastruktur, in Ansiedelung von Industrie…
und für Subventionen…..
Subventionen für den Standort Europa. Es kann doch nicht sein, dass europäische Ingenieure etwa Hochgeschwindigkeitszüge erfinden, aber dann kommen die Chinesen, staatlich hoch subventioniert, mit der von uns abgeschauten Technologie, gehen auf den europäischen Markt, unterbieten alle europäischen Firmen, mit schlechterer Qualität, aber billig.
Das klingt so, als ob Sie sagen würden: So etwas wie den chinesischen Protektionismus brauchen wir auch in Europa. Die Photovoltaik Paneele kommen seit 20 Jahren hauptsächlich aus China, und das hat uns bis jetzt nicht gestört, weil sie günstiger waren.
Mich hat es immer schon gestört.Ich bin für den Umstieg in alternative Energie, raus aus Gas, mehr Solarpaneele auf die ganzen Lagerhallen. Aber mir wäre noch lieber, dass diese Solarpaneele in Europa produziert werden. Außerdem: Elektromobilität. Die europäische Autoindustrie hat sie sehr lange verschlafen. Da müssen wir wieder Anschluss finden. Es braucht leistbare elektrische Autos von europäischen Herstellern. Wir werden die Mobilitätswende nicht schaffen, indem wir nur unter fragwürdigen Produktionsbedingungen hergestellte Autos aus Fernost importieren. Da bin ich für mehr europäisches Selbstbewusstsein.
Mit dieser Forderung unterscheiden Sie sich gar nicht von der ÖVP. Die sagt auch immer: Wir müssen die Industrie zurückholen….
Uns geht es um die Arbeitsplätze, um die Zukunftstechnologie. Was ich von den anderen höre, ist: alles zu viel Bürokratie - deswegen sind uns die Menschenrechte quasi egal in der Produktionskette. Kinderarbeit stoppen ja, aber nur, wenn das keine Bürokratie bedeutet. Also Lieferketten, Gesetz, Blockade. Und von wieder anderen höre ich nur, dass sie über das Migrationsthema rauf und runter reden. Sich nicht um den Standort, nicht um die Arbeitsplätze, nicht um die Gesundheitsversorgung, nicht um die soziale Infrastruktur kümmern. Ich glaube, da haben wir als Sozialdemokraten ein Alleinstellungsmerkmal.
Die Richtung muss sein: Raus aus dem Verbrenner, raus aus Öl und Gas und im Verkehrssektor auch raus aus Benzin und Diesel. Obwohl ich immer dazu sage: Die beste Form von Elektromobilität ist die Eisenbahn. Deswegen müssen wir überhaupt noch mehr auch in die Eisenbahn und in unser Schienennetz in Europa investieren.
Sie haben vorhin erwähnt, wir hätten das Know howfür Hochgeschwindigkeitszüge. Tatsächlich gibt es die praktisch kaum in Europa, dafür holt China rasant auf. Bei uns gibt es nicht einmal einen Plan für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz.
Sie haben recht. Das hat auch damit zu tun, dass Europa topografisch so anders ist, gerade bei uns in der Alpenregion, da ist es nicht so leicht, gerade Zugverbindungen zu schaffen. Aber es ist höchste Zeit, dass wir an einem übergeordneten europäischen Netzwerk arbeiten. Wir brauchen die besten Schienenverbindungen, da haben wir noch immer massive Lücken.
Wenn wir schon beim Verkehr sind, warum hilft uns Brüssel nicht mehr bei der Brennerfrage?
In Tirol machen ÖVP und SPÖ in der Landesregierung sehr gute Initiativen. Wer uns da immer reinpfeift, ist die deutsche Bundesregierung und vor allem Herr Salvini aus Italien. Ja, da braucht es mehr Solidarität in Europa, aber da kämpfen auch wir österreichischen Europaabgeordneten seit Jahren gemeinsam.
Das nervende Cookies-Wegklicken auf Webseiten ist eine EU-Regelung, wo man schwer den Sinn dahinter erkennen kann. Finden Sie diese Lösung gelungen?
Vielleicht nicht wirklich gelungen, aber das ist ein bisschen unfair, weil bei diesen Regelungen geht es auch um Datenschutz und faire Wettbewerbsbedingungen. Und den digitalen Riesen ihre Grenzen aufzeigen, das ist ein europäisches Projekt, wo ich auch sehr dahinter war, weil genau dieser Übermacht der digitalen Riesen muss Europa entgegentreten. Auch der einheitliche Ladestecker ist genauso ein Beispiel oder das Recht auf Reparatur. Das sind ganz entscheidende Dinge, die sich nicht heute sofort auswirken, aber in der Zukunft.
In den USA läuft eine große Diskussion über TikTok, die Firma muss in die USA verkauft werden, oder es wird verboten. Wie sehen Sie das, haben Sie TikTok am Handy?
Ich habe es nicht am Handy, weil die Europäische Union das auf Diensthandys aus Sicherheitsgründen verbietet. Ich bin nicht dafür, TikTok zu verbieten, sondern es so zu regulieren, dass es ohne Gefahr benutzbar ist. Auch wenn man es dafür vom chinesischen Besitzer befreien muss.
Mit einem US-amerikanischen Eigentümer wären Sie zufrieden?
Nein, ich finde, dass das Silicon Valley auch eine starke negativen Einfluss auf unsere Demokratie hat, durch die Algorithmen, durch Facebook, Twitter, wo schon auch Hassreden und Manipulation passiert. Ich rede von Europa, das diese Dinge versucht zu regulieren und das sich auf die Beine stellt. Wir wollen, dass im digitalen Leben die Menschen auch geschützt werden.
Hier geht es zum ausführlichen KURIER TV-Studiogespräch mit Andreas Schieder
Da braucht es Regeln, Datenschutz, faire Marktbedingungen, Transparenz bei den Algorithmen, alles Dinge, die Europa im Digital Service Act und im digitalen Market jetzt auch durchgesetzt hat.
Was muss sich in den nächsten fünf Jahren beim Thema Migration ändern? Was kann die EU liefern, was sie bisher nicht geliefert hat?
Wir haben jetzt fünf Jahre für eine gemeinsame europäische Migrationspolitik gebraucht. Das heißt gemeinsamer Außengrenzschutz, und diesen so zu organisieren, dass das Sterben im Mittelmeer nicht mehr hingenommen werden muss, aber auch schnellere Verfahren, auch vielleicht härtere Verfahren, für jene, die keine Aussicht auf Asyl haben. Und dass Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten der EU aufgeteilt werden, was für Österreich heißt, dass wir dann weniger Flüchtlinge hätten oder übernehmen müssen als bisher. Jetzt müssen wir den Migrationspakt mit Leben erfüllen, das ist die Aufgabe für die nächsten fünf Jahre.
Soll Klima eigentlich ein Asylgrund werden?
Die Folgen von Klima sind ein Asylgrund, aber nicht Klima selbst. Wir Europäer tun uns ja sehr leid mit dieser Migrationsfrage und übersehen dabei, dass überall anders auf der Welt noch viel mehr Leute als Flüchtlinge unterwegs und zu versorgen sind. Daher ist der Green Deal so entscheidend, nicht nur für unser Leben in Europa, sondern auch für das globale Gefüge, weil wir sonst die Welt komplett aus den Angeln heben. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein faires Leben, da gehört natürlich die Klimafrage massiv dazu, weil sie die Lebensgrundlage für viele Menschen kaputt macht.
Sie hatten zuletzt gemeint, dass Klimaministerin Gewessler schuld sei, dass das Nature Restauration Law nicht beschlossen werden kann. Bleiben Sie dabei?
Was mich irrsinnig ärgert, ist, dass die österreichische Regierung sehr oft gute europäische Vorschläge blockiert. Wir haben beim Nature Restauration Law die entscheidende Stimme aus Österreich, die nicht kommt. Warum? Die Ministerin sagt, die Bundesländer sind schuld, die Bundesländer sagen mir, sie wären dafür, es gebe aber Folgewirkungen finanzieller Natur, die nicht geklärt wurden. Wenn man in der Bundesregierung für das Thema verantwortlich ist, muss man auch die Verantwortung übernehmen und schauen, dass man eine Mehrheit hat.
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