Die zerbombte Kornkammer: Wegen Ukraine-Krieg droht globale Hungerkrise
Die Nationalfarben der Ukraine sind seit Beginn des russischen Angriffs auf das Land in aller Welt bekannt. Gelb-blaue Flaggen als Zeichen der Solidarität wehen bei Demos ebenso wie auf Schulen oder Privathäusern.
Einer populären Erklärung zufolge symbolisieren die Farben ein erntereifes Kornfeld unter wolkenlosem Himmel – und damit eine für die Ukraine prägende Landschaftsform. Tatsächlich ist das Land mit seinen fruchtbaren Schwarzerdeböden eine der wichtigsten Kornkammern der Welt.
25 Millionen Tonnen pro Jahr
Vor dem Krieg produzierte die Ukraine laut Neuer Zürcher Zeitung rund 25 Millionen Tonnen Weizen pro Jahr. Fast drei Viertel davon gingen in den Export, zu den größten Abnehmern zählten der Nahe Osten und Asien.
Zusammen mit Russland sei die Ukraine für mehr als ein Viertel aller Weizenexporte verantwortlich, rechnet die NZZ vor. Auch Sonnenblumenöl, Mais, Gerste und Raps werden in großem Stil ans Ausland verkauft.
Teuerung und Panikkäufe
Da unter den wichtigsten Zielländern für ukrainischen Weizen viele Konflikt- und Krisenländer sind, warnen Hilfsorganisationen vor einer globalen Hungerkrise als Folge des Kriegs gegen die Ukraine. Zwar sind die Getreidespeicher des Landes gefüllt, doch die blutigen Kämpfe, die Berichte über zurückgelassene oder verminte Felder sowie die Aussicht auf geringere Ernten in den kommenden Jahren ließen die Weizenpreise bereits in den ersten Kriegstagen steigen.
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Private und staatliche Panikkäufe in etlichen Weltregionen waren die Folge – was die Preise weiter in die Höhe trieb. Zu den Teuerungen trägt auch bei, dass die Preise für Dünger und Treibstoff zuletzt ebenfalls stark gestiegen sind.
Hungernde Kinder
Dramatische Folgen hat all das etwa im Norden Syriens, wo seit elf Jahren Krieg herrscht und laut CARE jedes fünfte Kind von Mangelernährung betroffen ist. "Die Menschen stehen stundenlang Schlange, um Brot zu bekommen, die einzige Mahlzeit, die sie sich leisten können", sagt Österreich-Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager. "Wenn Brot nicht mehr erhältlich ist, was bleibt dann übrig?"“
Im Bürgerkriegsland Jemen könnten im zweiten Halbjahr bis zu 19 Millionen Menschen hungern müssen (bei einer Gesamtbevölkerung von rund 30 Millionen).
Auch im Libanon, in Afghanistan oder Äthiopien dürfte sich der Hunger verschärfen; ebenso in Somalia oder Teilen Kenias, wo seit Jahren Dürre herrscht.
Dazu kommt, dass das Welternährungsprogramm der UNO künftig weniger Menschen mit Mehl oder Brot versorgen kann: Das WFP bezieht 50 Prozent seines Weizenbedarfs aus der Ukraine und hat nicht ausreichend Mittel, um die Teuerungen ausgleichen zu können. Im Jemen bekommen acht Millionen Menschen bereits jetzt nur noch die Hälfte ihrer üblichen Hilfsration.
Unruhen drohen
Wird Brot knapp oder deutlich teurer, steigt auch die Gefahr von sozialen Unruhen oder Revolten – was sich etwa 2011 während des Arabischen Frühlings zeigte. Tunesien, in dem die Revolten damals ihren Ausgang nahmen, ist wie auch Ägypten und andere kriselnde nordafrikanische Länder zu großen Teilen von ukrainischem Weizen abhängig. Auch hier kam es nach Hamsterkäufen bereits zu massiven Preisanstiegen und Engpässen bei Mehl.
Und die EU?
Europa importiert kaum Weizen aus der Ukraine. Dennoch beschäftigen die gestiegenen Preise für Getreide oder Dünger am Dienstag auch die EU-Landwirtschaftsminister bei einem Treffen in Brüssel.
Die Staatengemeinschaft bezieht etwa 30 Prozent ihres Düngemittelbedarfs aus Russland, hohe Preise für Mais und andere Futtermittel machen Landwirten zu schaffen. Zuletzt hatte es in der EU Debatten darüber gegeben, in welchem Ausmaß man das Erreichen von Klimaschutzzielen in der Landwirtschaft zugunsten der Versorgungssicherheit zurückstellen solle.
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