Ist Qin Gang wegen einer Affäre in Ungnade gefallen?
Der 57-jährige Qin ist erst seit Anfang des Jahres Außenminister, zuvor war er jahrelang chinesischer Botschafter in Washington. Eigentlich galt er als Günstling von Machthaber Xi Jinping, sein plötzlicher Aufstieg zum Minister galt als erneuter Beleg dafür. Doch nun absolvierte Qin seinen letzten öffentlichen Auftritt am 25. Juni in Peking - und stellt mit seiner Abwesenheit Politik und Medien im Ausland vor ein Rätsel.
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In chinesischen sozialen Medien wurde zuletzt vielfach spekuliert, Qin sei aufgrund einer außerehelichen Affäre mit der Hongkonger Fernseh-Moderatorin Fu Xiaotian bei der Führung der Kommunistischen Partei in Ungnade gefallen. Ein solcher politischer Skandal wäre für einen Spitzenpolitiker in Peking kaum tragbar.
Fu bekam Anfang des Jahres einen Sohn, dessen Vater nicht öffentlich bekannt ist, was schon länger Gerüchte nach sich zog. Lange tauchte die Moderatorin in den sozialen Medien unter. Anlass für die Spekulationen sind nun mehrere Fotos, die sie im April veröffentlichte, darunter eines von ihrem Kind - und eines von einem Interview mit Qin Gang vom März 2022, der damals noch Botschafter in den USA war.
Auch wenn an dem Gerücht nichts dran sein sollte, so könnte alleine sein Aufkommen dafür gesorgt haben, dass Qin vorübergehend von seinem Posten abgezogen wurde: Die Kommunistische Partei versucht stets, ihre Führungselite als fehlerlose, fast unantastbare Persönlichkeiten zu inszenieren.
Das ist auch der Grund, warum die Angabe eines Sprechers, Qin leide an "gesundheitlichen Problemen", aus Sicht der Partei in jedem Fall gestrichen werden musste. Selbst wenn das stimmen sollte, könnte eine Erkrankung einem Außenminister als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden und hätte deshalb geheim zu bleiben. Während der Null-Covid-Ära wurde etwa von keinem einzigen Spitzenpolitiker in China eine Covid-Erkrankung öffentlich.
Qin ist zwar Außenminister, aber nicht oberster Außenpolitiker Chinas
Dass die Abwesenheit des Außenministers im Ausland erst nach Wochen auffiel, mag überraschen. Doch Qin hat in China eine besondere Rolle, er verfügt über deutlich weniger Macht als die Außenminister anderer Staaten. Sein Vorgänger, der 69-jährige Wang Yi, hatte diesen Posten schließlich zehn Jahre lang inne, war also bisher fast die gesamte Amtszeit Xi Jinpings über dessen Chefdiplomat.
Weil ein Außenminister in China aber nur maximal zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, im Amt sein darf, musste Wang im Jänner abtreten - und erhielt den Posten als Vorsitzender des Zentralen Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten innerhalb der Kommunistischen Partei. Damit ist Wang offiziell Chinas oberster Außenpolitiker - und somit Vorgesetzter des Außenministers.
Es ist also kein Wunder, dass Wang Yi den abwesenden Qin Gang seit Ende Juni bei fast allen Terminen als Außenminister vertritt. Auch beim Gipfel der BRICS-Staaten in der kommenden Woche wird Wang als Vertreter des Außenministers teilnehmen. Das stärkt das ohnehin schon mächtige Profil des 69-Jährigen weiter.
Wang gilt als Begründer der sogenannten "Wolfskrieger-Diplomatie", eines besonders harten, selbstbewussten Auftretens chinesischer Diplomaten; vor allem dem Westen gegenüber. Erst im Februar war er nach Moskau gereist, um sich dort mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen.
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Selbst Xi Jinping verschwand bereits zweimal für mehrere Wochen
Es kommt im politischen System Chinas immer wieder vor, dass hochrangige Offizielle oder Prominente wochenlang untertauchen. Meist haben sie sich dabei aufgrund rechtlicher oder moralischer Vergehen vor der Partei oder den Behörden zu verantworten, doch es gibt auch Fälle, die bis heute ungeklärt blieben oder sich im Nachhinein als harmloser herausstellten.
Eine Auswahl berühmter Fälle aus den letzten Jahren:
- Interpol-Chef Meng Hongwei
Der ehemalige Präsident der internationalen Polizeibehörde Interpol flog während seiner Amtszeit im September 2018 überraschend in seine chinesische Heimat - und verschwand. Eine Woche später schickte er seiner Frau eine Nachricht mit einem Messer-Emoji (🔪), was als Zeichen dafür gedeutet wurde, dass er sich in Gefahr befand. Auf Drängen Inerpols erklärte die chinesische Regierung im Oktober, dass Meng wegen des Vorwurfs der Korruption verhaftet worden war. Im Jänner 2020 wurde er zu 13 Jahren Haft verurteilt.
Egal, wie das Rätsel um das Verschwinden des Außenministers endet - ob mit der Verkündung eines möglichen Verfahrens gegen Qin oder eines ebenso plötzlichen wie unscheinbaren Wiederauftauchens in der Öffentlichkeit - es wird erneut daran erinnern, dass das moderne China trotz seines Wirtschaftswunders ein politisches Umfeld bietet, in dem Fehltritte ernsthafte Folgen haben können, selbst für höchste Würdenträger.
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