Wie schleppend sich die chinesische Wirtschaft von den Pandemiejahren erholt, zeigten die Zahlen, die am Montag von der nationalen Statistikbehörde in Peking präsentiert wurden: Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal demnach um 6,3 Prozent. Das mag viel klingen, ist aber deutlich weniger, als vorab erwartet worden war.
Die Zahlen stehen immer im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres. Das zweite Quartal 2022 war wegen der landesweiten Lockdowns eines der wirtschaftlich schwächsten der jüngeren chinesischen Geschichte. Die Wirtschaftsmetropole Shanghai stand in dieser Phase etwa vollkommen still, menschliche Tragödien inklusive.
➤ Der KURIER sprach während des berüchtigten Shanghai-Lockdowns mit zwei Studentinnen vor Ort
Vergleicht man das Wirtschaftswachstum zwischen April und Juli mit dem ersten Quartal, den ersten drei Monaten nach dem Ende der Null-Covid-Strategie, stieg es sogar um nur 0,8 Prozent.
Die Regierung führt die schleppende Entwicklung auf externe Faktoren zurück. "Die Erholung der Weltwirtschaft verlief schleppend", erklärte Fu Linghui, Sprecher des Nationalen Statistikbüros. Chinas Exporte brachen im Juni um satte 12 Prozent ein, das wird nur vom Pandemie-Höhepunkt im Februar 2020 übertroffen. Schuld daran seien die weltweit hohe Inflation und hohe Rohstoffpreise infolge des Krieges in der Ukraine.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass China mit einer Reihe von internen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat.
- Da wäre zum einen die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, die bei 16- bis 14-Jährigen im Juni auf 21,3 Prozent anstieg, wie die Statistikbehörde am Montag ebenfalls erklärte. Für den Juli werden wegen der vielen Schul- und Universitätsabsolventen (ca. 12 Mio.) noch höhere Zahlen erwartet, gab Fu zähneknirschend zu.
- Einer der Gründe dafür: Gastronomiebetriebe und Geschäfte litten besonders unter der Null-Covid-Strategie der Regierung. In beiden Sektoren sind vor allem junge Menschen tätig, bei Unternehmen herrscht aufgrund der Unsicherheiten seit Beginn der Pandemie auch in diesem Jahr Vorsicht vor, zu schnell neue Mitarbeiter einzustellen.
- Die wachsende Immobilienkrise in China ist ein weiteres Problem. Im Juni wurden um 27 Prozent weniger Wohnungen verkauft als im Vergleichszeitraum 2022. Und das, obwohl die Nachfrage laut Ökonomen eigentlich deutlich größer sein müsste. Das heißt: Selbst Chinesen, die eigentlich auf der Suche nach einer besseren Unterkunft wären, sparen ihr Geld aufgrund der unsicheren Wirtschaftslage lieber, als es auszugeben.
Die größte Gefahr für Chinas Wirtschaft: Die sinkende Geburtenrate
Die wohl größte Herausforderung für die chinesische Wirtschaft stellt aber die extrem schnell alternde Bevölkerung dar. Die Geburtenrate bleibt auf einem extrem niedrigen Niveau (1,28 Kinder pro Frau), wodurch im vergangenen Jahr erstmals seit der großen Hungersnot vor sechzig Jahren die Einwohnerzahl schrumpfte. Damit wurde China im April von Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt.
➤ In diesem Artikel haben wir die vielen Gründe für Chinas sinkende Geburtenrate aufgearbeitet
Diese Entwicklung ist eine ernsthafte Bedrohung für das politische Ziel der chinesischen Regierung, schon bald zur weltgrößten Volkswirtschaft aufzusteigen. Chinas enormer wirtschaftlicher Aufschwung hing in den vergangenen Jahrzehnten eng mit seinem Ruf als "Fabrik der Welt" zusammen.
Nirgendwo war es für Unternehmen günstiger, ihre Produkte zu produzieren. Bei einer schrumpfenden arbeitsfähigen Bevölkerung wird das künftig nicht mehr so sein. Schon jetzt wandern viele internationale Konzerne in südostasiatische Nachbarstaaten ab.
Noch vor fünf Jahren galt es als Fakt, dass China die USA spätestens Mitte des 21. Jahrhunderts als Wirtschaftsmacht Nummer eins in der Welt ablösen wird. Heute gibt es einige einflussreiche Ökonomen und Wirtschaftsinstitute, die nicht mehr daran glauben, dass es jemals so weit kommen wird.
Der US-Thinktank Capital Economics sieht Chinas Wirtschaftsleistung etwa bereits 2035 ihren Höhepunkt erreichen - bei nur etwa 90 Prozent des US-Niveaus. Und selbst das renommierte britische Magazin Economist titelte bereits Mitte Mai: "China am Zenit?"
Ein stagnierendes China dürfte stärker auf seine Handelspartner angewiesen sein
Die drohende Stagnation bedeutet aber nicht, dass China mittel- bis langfristig wirtschaftlich irrelevant wird. Im Gegenteil: Die Volksrepublik dürfte sich auf ähnlichem Niveau wie die USA langfristig als Nummer zwei der Welt einpendeln; vorausgesetzt, der Vielvölkerstaat Indien erfährt kein ähnliches Wachstum wie China Ende des 20. Jahrhunderts.
Experten sind sich uneinig darüber, welche Folgen die Entwicklung für das geopolitische Auftreten Chinas haben könnte. Eine stagnierende Wirtschaft macht Peking aber zumindest abhängiger von seinen Handelspartnern - und damit vom Westen.
So unberechenbar Chinas Machthaber Xi Jinping auch sein mag: Ein bewaffneter Konflikt, etwa um Taiwan, wie er von vielen im Westen befürchtet wird, würde damit wahrscheinlich in weite Ferne rücken.
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