China und Taiwan: Wie abhängig ist unser Wohlstand vom Frieden?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist in Österreich tagtäglich spürbar: an der Tankstelle, im Supermarktregal, auf der Strom- und Gasrechnung. Auch wenn die Situation für die Menschen außerhalb der Ukraine nicht unmittelbar lebensbedrohlich sein mag: Einer Schätzung der Vereinten Nationen zufolge sank das Weltwirtschaftswachstum durch den Krieg um ein Viertel.
Deutlich größere Auswirkungen könnte dagegen der nächste militärische Konflikt haben, der sich zwischen China und den USA um die Insel Taiwan zusammenbraut. Spätestens seit die US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi mit ihrem Besuch auf Taiwan vergangene Woche den bisherigen Höhepunkt der Spannungen ausgelöst hat, ist die Gefahr einer militärischen Eskalation so groß wie nie.
China beansprucht die demokratisch regierte Insel für sich, Staatspräsident Xi Jinping hat sich ihre Eroberung als langfristiges Ziel gesetzt. Die USA haben sich dagegen seit 1979 vertraglich dazu verpflichtet, Taiwan vor einer Invasion zu schützen – ein Abkommen, dass mit der wachsenden wirtschaftlichen und militärischen Stärke Chinas in Washington immer weniger zwingend interpretiert wurde. Seit aber Joe Biden US-Präsident ist, erklärte der 79-Jährige bereits dreimal auf Nachfrage, dass man Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs zu Hilfe eilen würde.
Weltweit spürbare Folgen
Eine Eskalation wäre nicht nur aus humanitärer Sicht dramatisch und würde die Region um Jahrzehnte zurückwerfen; auch die wirtschaftlichen Folgen wären auf der ganzen Welt in einem noch nie da gewesenen Ausmaß spürbar. "Ein Krieg würde mit Sicherheit eine globale Rezession mit erheblichen Wohlstandsverlusten nach sich ziehen", sagt Sebastian Kummer, Vorstand am Logistik-Institut der Wiener WU, zum KURIER.
Selbst wenn die USA nicht militärisch eingreifen würden, befänden sich die beiden größten Volkswirtschaften der Geschichte in einem direkten Konflikt. Zudem ist das Gebiet um Taiwan eine der meistbefahrenen Schiffsrouten der Welt, die noch dazu sowohl von China als auch von den USA an vier strategischen Flaschenhälsen geschlossen werden könnte.
Ein Krieg würde mit Sicherheit eine globale Rezession mit erheblichen Wohlstandsverlusten nach sich ziehen
Wie einfach das geht, zeigte die Regierung in Peking schon in der Vorwoche, als man als Reaktion auf den Taiwan-Besuch Pelosis eine Woche lang rund um die Insel militärische Übungen abhielt und somit die Ein- und Ausfahrt von Transportschiffen verhinderte. Die Auswirkungen dieser Sieben-Tages-Blockade auf die weltweiten Lieferketten würden Kummer zufolge zwar überschaubar bleiben, "aber die psychologischen Auswirkungen sind deutlich größer. Die Spannungen bedeuten deutlich größere Risiken für die internationale Schifffahrt", so der Ökonom. (siehe Grafik --- bitte die zwei Pfeile rechts anklicken)
Schon die Covid-Pandemie zeigte auf, was passieren kann, wenn diese Routen kurzzeitig nicht mehr funktionieren: Als die Häfen großer chinesischer Metropolen geschlossen wurden, stand etwa die Automobilindustrie still. Als aus Taiwan keine hoch entwickelten Halbleiter-Chips mehr geliefert werden konnten, stiegen die Preise für Computer, Smartphones oder E-Autos massiv an.
So abhängig ist Europa
In Taiwan wird die Vorreiterrolle der eigenen Chipindustrie als Trumpfkarte in diesem Konflikt gesehen. Vor allem der Konzern TSMC, der in der Nähe der Hauptstadt Taipeh Halbleiterchips von unvergleichlicher Qualität produziert und weltweit exportiert, wird von Einheimischen als "Silikon-Schutzschild" der Insel bezeichnet.
Dass diese Chips wegen eines Konflikts nicht mehr in entsprechendem Ausmaß produziert werden können, könnte die weltweite Elektronikindustrie um Jahre zurückwerfen. Regierungen weltweit müssten sich die Frage stellen, "welche Branchen die verbliebenen Chips bekommen und welche nicht", sagt Kummer. "Man wäre wohl darauf angewiesen, zunächst die kritische Infrastruktur zu schützen."
Europas Abhängigkeit von China geht dagegen weit über die Elektronikindustrie hinaus (s. Grafik). Sollte der Westen – wie nach dem Ukraine-Krieg gegenüber Russland – seine Wirtschaftsbeziehungen mit der Volksrepublik weitestgehend abbrechen, wären die Auswirkungen am schnellsten bei medizinischen Produkten spürbar. Mittelfristig würden aber wohl lange Wartezeiten und hohe Preise bei den unterschiedlichsten Produkten auftreten – und letztlich die Weltwirtschaft auf Jahre hinaus in die Knie zwingen.
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