Wie wahrscheinlich ist ein EU-Beitritt der Ukraine wirklich?
Noch im Oktober, beim vorerst letzten EU-Gipfel mit der Ukraine, war die Kiewer Führung enttäuscht wieder aus Brüssel abgereist. Ein Angbeot, der EU beizutreten, war da von der Europäischen Union nicht gekommen. Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Situation schlagartig geändert. Als Reaktion auf die Aggression des Kremls hat sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun für einen EU-Beitritt der Ukraine ausgesprochen: "Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns. Sie sind einer von uns und wir wollen sie drin haben", sagte sie am Sonntagabend in einem Euronews-Interview.
Zuvor hatte der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskij in einem Telefongespräch mit von der Leyen auf die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU gedrängt. Danach twitterte er: "Es ist ein entscheidender Moment, die langjährige Diskussion ein für alle Mal zu beenden und über die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu entscheiden."
Wie wahrscheinlich ist ein EU-Beitritt der Ukraine wirklich?
Erste Forderung kam aus Polen
In der EU mehren sich nun die Stimmen, der Ukraine beizustehen, indem man ihr einen Beitritt zur Union anbietet. Den Anfang machten in der Vorwoche Slowenien und Polen. Bis zum Jahr 2030 solle das Land der EU angehören, forderten die Premiers Janez Jansa und Mateusz Morawiecki. In einem gemeinsamen Brief an ihre EU-Amtskollegen forderten sie die EU-Regierungschefs zu "schnellen und mutigen Entscheidungen" auf. "Wir müssen einen ambitionierten und greifbaren Plan für eine rasche Integration der Ukraine in die EU bis zum Jahr 2030 ausarbeiten", heißt es in dem Schreiben. Eine Kopie davon ging auch an Bundeskanzler Karl Nehammer.
In einem ersten Schritt solle nun die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine anerkannt werden, fordern die Regierungschefs Sloweniens und Polens. Auch solle das Land den EU-Kandidatenstatus erhalten, sobald es seinen Beitrittsantrag stelle.
Auch der Fraktionsvorsitzende der größten Parteienfamilie im EU-Parlament, Manfred Weber (EVP), pocht auf ein Beitrittsangebot für die Ukraine. "Wir werden die Ukraine weiter an die EU heranführen", schreibt er in einem Gastbeitrag in der FAZ.
Dafür solle die EU der ukrainischen Regierung noch diese Woche eine maßgeschneiderte Werte- und Wirtschaftsunion vorschlagen, als ersten Schritt zum Beispiel mit einer Zollunion. "Die Ukraine könnte vor allem wirtschaftlich zügig einen ähnlichen Status erhalten wie die Schweiz oder Norwegen", schlägt der CSU-Politiker Weber vor.
Symbolische Handreichung
Tatsächlich liegen die Chancen für einen rascher Beitritt der Ukraine derzeit bei Null. Noch ist das Land, das mitten in einem Krieg steckt, nicht einmal ein Beitrittskandidat. Und selbst Verhandlungen mit Beitrittskandidaten ziehen sich über viele Jahre. Konkrete rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen müssen erfüllt sein, von denen die Ukraine sehr weit entfernt ist.
Erste Bedingungen müsste zudem sein, dass im Land Frieden herrscht und klar ist, dass die Ukraine auch wirklich alle Landesteile kontrolliert. Ein zweites Zypern, wo eben nicht alle Teile des Gebietes von der Regierung kontrolliert werden, möchte sich die Union nicht herein holen.
"Das Angebot der Kommissionschefin dürfte eher als ein symbolischer Akt der Unterstützung verstanden werden", sagt EU-Rechtsexperte Walter Obwexer zum KURIER. Zudem sei weniger ein konkreter Beitritt gemeint als vielmehr Schritte der Annäherung, etwa vielleicht eine Teilnahme der Ukraine am EU-Binnenmarkt.
Über das Beitrittsverfahren entscheide die Kommission nicht allein, führt Obwexer weiter aus: "Alle 27 EU-Regierungen müssen zustimmen. Auch bei der Frage, ob ein Land den Status eines Beitrittskandidaten erhält, müssen sie geschlossen zustimmen. "
Die Ukraine arbeitet schon länger auf einen Beitritt zum Bündnis hin. Dieses Ziel ist seit 2019 auch in der Verfassung verankert, ebenso wie jenes der NATO-Mitgliedschaft. Bereiche der Zusammenarbeit gibt es schon jetzt: Seit 2017 gilt ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine.
Vor einem konkreten Beitrittsangebot an die Ukraine aber hatte die EU die vergangenen Jahre zurückgeschreckt - nicht zuletzt aus Sorge, Russland zu verärgern. Bereits 2014 wollte die damalige Führung in Kiew zunächst ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen.
Auf den massiven Druck Moskaus hin aber zog Präsident Viktor Janukowitsch im letzten Moment zurück - und löste damit riesige Proteste im Land aus. Der Präsident wurde gestürzt, hunderte Menschen kamen bei den Protesten ums Leben.
Österreich ist eher skeptisch
Österreich hält sich mit der Forderung eines schnellen EU-Beitrittes der Ukraine eher bedeckt. Bundeskanzler Karl Nehammer verwies am Donnerstag auf die dramatische Situation im Land, sagte aber zugleich: „Vorschläge wird es noch viele geben, wie wir uns mit der Ukraine und ihrer Position auseinandersetzen.“ Auch Außenminister Alexander Schallenberg bremste im Ö1-Morgenjournal: Der Beitritt sei ein großer Wunsch von ukrainischer Seite, so der österreichische Außenminister, "er ist emotional total verständlich in dieser Situation. Ich glaube aber, er löst die momentane konkrete Krise nicht."
Mit den Balkanstaaten Serbien und Montenegro wird bereits seit fast zehn Jahren verhandelt. Einem konkreten Beitrittsdatum ist man allerdings noch immer nicht näher gekommen. Die meisten Probleme liegen bei den Anforderungen für die Rechtsstaatlichkeit der beiden Beitrittskandidaten.
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