Wie gut wäre Europa vor einem russischen Atomangriff geschützt?

Wie gut wäre Europa vor einem russischen Atomangriff geschützt?
Militärexperte Walter Feichtinger analysiert die reale Gefahr, die von Putins Atomraketen-Drohungen ausgeht.

Russlands Präsident Wladimir Putin drohte im Zuge des Einmarschs in der Ukraine als Reaktion auf die harten westlichen Sanktionen zuletzt offen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Dass er tatsächlich ernst macht, hält Walter Feichtinger, Militärexperte im Zentrum für strategische Analysen, für unwahrscheinlich. Nicht nur, weil ein Krieg mit dem Westen auch für Russland "kein gutes Ende nehmen würde", sondern auch, weil Westeuropa durch ein Abwehrsystem geschützt wäre. Wie das im Detail funktioniert:

Russland verfügt bekanntlich über Tausende von Atomsprengköpfen. Mit mehr als 6.200 Atomwaffen im Arsenal übertrifft das Land sogar jenes der USA (5.500), an dritter Stelle folgt abgeschlagen die Volksrepublik China (ca. 390).

"Die wären nicht alle sofort einsatzbereit, aber mehrere Hundert wären es wohl", so Feichtinger. Diese Sprengköpfe müssten zunächst noch auf sogenannte Trägersysteme verfrachtet werden, von denen aus sie abgefeuert werden könnten. Es gibt vier Arten von Trägersystemen: Raketensilos, mobile Transportbehälter, Militärflugzeuge und eigens dafür ausgestattete U-Boote.

"Was wir hier sehen, ist aber in erster Linie eine politische und rhetorische Eskalation", so Feichtinger. "Hier werden einerseits Drohungen an den Westen gesendet und andererseits, fürchte ich, auch an die Ukraine." Ein tatsächlicher Atomangriff wäre aber "eine Eskalation, die in keinem Verhältnis zu dem bisherigen Konflikt und der bisherigen Kriegsentwicklung steht", meint Feichtinger. "Deshalb gehe ich auch nicht davon aus, dass man sich hier in Europa besonders fürchten muss."

In der Theorie: Könnte man Europa von Moskau aus treffen?

Wie gut aber wäre Europa im Fall der Fälle geschützt? Gibt es einen Abwehrmechanismus? Feichtinger: "Es gibt einige US-amerikanische Abwehrraketen, die sind in Polen stationiert. Das entsprechende Spezial-Radar ist in Rumänien stationiert. Das heißt, man sieht einerseits, was sich auf der anderen Seite tut und man wäre auch in der Lage, einzelne Raketen abzufangen."

Wie gut wäre Europa vor einem russischen Atomangriff geschützt?

Walter Feichtinger.

Im unwahrscheinlichen Fall eines Angriffs auf Westeuropa würde dieses Abwehrsystem wohl auch greifen. Sollte Russland allerdings die Ukraine mit seinen Atomraketen ins Visier nehmen, hält Feichtinger ein Abfangen für unwahrscheinlich: "Das wäre eine Einmischung. Das wäre dann wirklich der Krieg zwischen den USA und Russland, zwischen dem Westen und Russland. Ich glaube aber, dass nicht einmal ein Präsident Putin das will. Denn hier würde er sicher kein gutes Ende nehmen."

Wie bei den Atommächten USA und Frankreich gibt es aber auch in Russland ein Prüfsystem, das in Kraft tritt, bevor irgendjemand einen Angriff mit Atomraketen starten kann. Das sieht so aus, dass nach dem Befehl des Präsidenten zunächst eine Beurteilung durch die Generäle, den Generalstabschef und den Verteidigungsminister durchgeführt werden muss. Ist die abgeschlossen, so wird das Ergebnis an den Nationalen Sicherheitsrat herangetragen und in weiterer Folge an den Präsidenten. Putin hätte also in letzter Instanz die oberste Entscheidungsgewalt.

"Aber auch beim Abfeuern gibt es hier noch eine gegenseitige Absicherung, also ganz so einfach ist das nicht", sagt Feichtinger. "Und ich möchte noch einmal betonen, für wie unwahrscheinlich ich eine solche Eskalation halte." Für den Fall der Fälle sei aber sowohl in Russland, als auch in Frankreich und den USA immer jemand in der Nähe des Präsidenten, der einen Koffer trägt, über den direkt mit den wichtigsten militärischen Entscheidungsträgern Kontakt aufgenommen werden kann.

Das ganze Interview auch als Video:

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