Warum stehen die Menschen so weit rechts?
28,8 Prozent. Das ist gleich mehrfacher Rekord: 28,8 Prozent der österreichischen Wähler katapultierten die FPÖ nicht nur erstmals in der Geschichte bei Nationalratswahlen auf Platz 1. Sie bescherten den Blauen auch „einen der höchsten Stimmenanteile, die Rechtspopulisten jemals ins Westeuropa erreicht haben“, sagt Parteienforscher Endre Borbath.
Die AfD in Ostdeutschland, Geert Wilders in den Niederlanden, Giorgia Meloni in Italien: Rechtspopulisten sind in Europa längst Mainstream. Die Vorstellung, dass die einst geächteten Parteien bald viel öfter regieren oder sogar absolute Mehrheiten holen können, ist nicht weit her geholt: „Es gibt keine Regel, die besagt, dass rechtsradikale und rechtspopulistsche Parteien nicht noch mächtiger werden können“, sagt der ungarische Politologe, der in Heidelberg forscht. Auch René Cuperus, Polithistoriker und Regierungsberater aus den Niederlanden, sieht das so: „Wenn die etablierten Parteien nicht lernen, mit dem Unbehagen der Menschen umzugehen, sitzen die Rechtspopulisten bald in allen Regierungen.“
Die „Revolte im Paradies“
Aber: Woher kommt dieses Unbehagen, diese Wut eigentlich? Cuperus nennt das die „Revolte im Paradies“: Rechtspopulismus habe sich vor allem in reicheren europäischen Staaten breit gemacht, Österreich war da in den 1980ern mit Jörg Haider Europas „Versuchslabor“. Die Parameter sind bis heute gleich: Die Lebensumstände sind gut, aber die untere Mittelschicht hat das Gefühl, ihr persönliches Paradies sei in Gefahr – durch Migration, Globalisierung, gesellschaftlichen Fortschritt. Die Populisten aktivieren das, und zum Teil stimme dieses Gefühl ja auch, sagt Cuperus: „Diese Schicht merkt etwa, dass der Wohlfahrtsstaat nicht mehr effizient und solidarisch funktioniert“ – Ärzte sind überbucht, privaten Ersatz kann man sich nicht leisten; die Wohnungen werden teurer, der Jobmarkt enger. Die Folge: Man fühlt sich vom System betrogen – und die Populisten haben einen Sündenbock parat.
Die Wähler für den Erfolg der Rechtspopulisten verantwortlich zumachen, sei aber falsch, sagt er. „Die etablierten Parteien sind mitschuldig am Entstehen der populistischen Revolte. Sie hätten schon vor Jahren die Alarmglocken schrillen hören müssen.“ Die Parteien der Mitte, Christ- und Sozialdemokraten, hätten den Kontakt zu Teilen der Bevölkerung verloren – „vor allem in der Peripherie“, sagt Cuperus. Sichtbar sei das an den Wahlergebnissen: Wien etwa, das völlig konträr zum ländlichen Österreich gewählt hat, oder die ruralen Gebiete der Niederlande, wo „Menschen aus kleineren ländlichen Städten und die schlechter Ausgebildeten gegen die akademische Professionals in den Städten revoltieren“, wie Cuperus sagt. „Populismus sei darum auch eine „Revolte der Peripherie“.
Die Kluft zwischen diesen Milieus ist mittlerweile ein größerer Faktor als die traditionellen politischen Kategorien von links und rechts, sagt der Politberater. „Es geht um Stadt gegen Land, gut ausgebildet gegen weniger gut ausgebildet, Einheimische und Zugereiste.“ Die einen fühlen sich ihrer Traditionen beraubt und überreguliert, die anderen halten Fortschritt und globale Vernetzung für das einzig Wahre.
Kein Austausch mehr
Natürlich, dieses Unbehagen hat es immer schon gegeben. Aber die Distanz zwischen den „Bubbles“ ist so groß wie nie – es fehlt fast jeder Austausch. „In der Kirche, in der Armee, in der Gewerkschaft, in der Kneipe trafen früher viele Bevölkerungsteile aufeinander, es gab Austausch, das beförderte Akzeptanz“, sagt Cuperus. Solche Räume gibt es kaum mehr.
Auch Endre Borbath hat diese Beobachtung gemacht, vor allem bei jungen Wählern. „Die Welt, in der die Jungen aufgewachsen sind, ist stark von der Globalisierung, den offenen Grenzen geprägt. Sie denken nicht in den Kategorien, die ältere Generationen politisch geprägt haben.“ Und, führt der Parteienforscher Bobarth weiter aus, „sie haben auch viel weniger Vertrauen in die bekannten politischen Eliten.“ Christdemokraten und Sozialdemokraten seien für sie keine Parteien mehr, die Antworten auf ihre Fragen oder Herausforderungen liefern können. Cuperus spricht sogar davon, dass sich die traditionellen Parteien „neu erfinden“ müssten.
Kopieren? Ausgrenzen?
Nur wie? Endre Borbaths Beobachtungen sind wenig erfreulich. Das, was viele Konservative in Europa probiert haben – das bloße „Kopieren“ rechtspopulistischer Ideen – sei meist kontraproduktiv. Je weiter zentrale rechtspopulistische Positionen – die Anti-Immigrationshaltung und die Skepsis gegenüber der europäische Integration – normalisiert und in die Mitte gerückt werden, „umso erfolgreicher werden die weit rechts stehenden Parteien“, sagt er.
Ausgrenzen helfe auch nicht, sagt Cuperus, davon leben viele Rechtspopulisten. Fühlen Wähler sich marginalisiert, sprechen sie auf „Polit-Outlaws“ an – siehe Trump. Dessen Lügen und falsche Versprechungen aufzuzeigen, helfe darum auch nicht: „Je mehr wir auf ihn hinhauen, desto stärker machen wir ihn.“
Dass dass Rechtspopulisten, einmal an der Macht, die Demokratie stark schwächen oder gar abschaffen könnten, scheint bei vielen Wählern ebenso keine Rolle zu spielen. Dabei ist die Gefahr durchaus gegeben: „Wir sehen, dass in Ländern, in denen rechtsnationalistische Parteien ohne Koalitionspartner an die Macht gekommen sind – zum Beispiel Trump in den USA oder Viktor Orbán in Ungarn – diese Parteien die Demokratie tatsächlich verändern“, sagt Bobarth. Sie hätten ein ausgeprägtes Mehrheitsverständnis von Demokratie: „Wenn die Mehrheit beschließt, keine Immigranten zu wollen, gibt es keine Menschenrechte oder Asylrechte, die dem entgegenstehen. Wer die Wahlen gewinnt, hat nach ihrer Sicht das Recht, das System nach ihren Vorstellungen zu verändern.“ Und das, so der ungarische Politologe, der Orbáns „illiberale Demokratie“ vor Augen hat, könnten durchaus fundamentale politische Veränderungen sein. „Orbán und Trump sehen ihre Wahlergebnisse als Mandat für nahezu unbegrenzte Macht.“
Anders sieht es aus, wenn Rechtspopulisten Partner einer Koalition sind. Das schränkt Handlungsmöglichkeiten ein, das musste auch die FPÖ nach mehrmaliger Regierungsbeteiligung erfahren. Auch Geert Wilders ist ein Beispiel dafür: Er musste nach seinem Wahlsieg viele Positionen aufweichen, konnte nicht selbst Premier werden.
Ist das der Weg, um aus der Populismus-Falle zu kommen? Jein, sagt René Cuperus. „Ich fürchte, Populismus wird nicht mehr verschwinden. Rechtspopulisten sind vielleicht sogar die neuen Volksparteien“. Aber: „Wir müssen beginnen, sie dazu zu zwingen, moderater zu werden. Andernfalls bleiben wir geteilte Gesellschaften – und das untergräbt die Stärke der westlichen Demokratien i in ihrem globalen Kampf gegen die Autokratie.“
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