Regierungsbildung: Welche Taktiken die Parteien verfolgen
Die Nationalratswahl ist geschlagen. Die FPÖ hat ihr historisch bestes Ergebnis (28,85%), die ÖVP muss zweistellige Verluste hinnehmen und ist mit 26,27 % auf dem zweiten Platz. Die SPÖ ist mit 21,14 % erstmals in der Geschichte der zweiten Republik nur drittstärkste Parlamentspartei, gefolgt von den Neos (9,14%) und den Grünen (8,24%).
Die einzig stabile Mehrheit würden FPÖ und ÖVP haben – 108 von 183 Mandaten. Doch das gilt als derzeit ausgeschlossen, da ÖVP-Chef Karl Nehammer nicht mit FPÖ-Chef Herbert Kickl koalieren will. Was das für die Sondierungsgespräche und den möglichen Regierungsbildungsauftrag bedeutet – das KURIER-Innenpolitik-Team hat sich in den Parteien umgehört.
FPÖ: Über den Erfolg der Länder in die Koalition?
Mit dem Wahlsieger will derzeit niemand über eine Zusammenarbeit im Bund sprechen. Kein Problem, so der blaue Tenor, denn: Die Landtagswahlen (Vorarlberg/13.10., Steiermark/24.11., Burgenland/2025) könnten Ergebnisse zeitigen, die für sich sprechen, der FPÖ früher oder später eine Regierungsbeteiligung verschaffen werden. FPÖ-Chef Herbert Kickl will Kanzler werden, wie es heißt, im Gegensatz zur ÖVP jedoch nicht um jeden Preis.
Die Reihen seien noch nie so geschlossen, Kickl noch nie so sakrosankt gewesen wie jetzt. Zudem rechnet man sich Chancen aus, mit Mario Kunasek in der Steiermark den Landeshauptmann stellen zu können, mit Norbert Hofer im Burgenland bald in einer weiteren Landesregierung vertreten zu sein – und das mit der SPÖ. Damit würde die SPÖ die Vranitzky-Doktrin (keine SP-Zusammenarbeit der FPÖ) brechen.
Die FPÖ würde damit in den Ländern mit ÖVP und SPÖ regieren und deren Chefs Nehammer und Babler mit ihrer Anti-Kickl-FPÖ-Haltung in Erklärungsnot bringen. Und das alles womöglich noch während laufender Ampel-Koalitionsgespräche, so die blaue Erzählung, an deren Ende auch Blau-Schwarz oder Neuwahl stehen könnten.
Das FPÖ-Verhandlungsteam zum Durchklicken:
Herbert Kickl, FPÖ-Chef
Herbert Kickl, FPÖ-Chef
Michael Schnedlitz, Generalsekretär
Michael Schnedlitz, Generalsekretär
Christian Hafenecker, Generalsekretär
Christian Hafenecker, Generalsekretär
Arnold Schiefer, FPÖ-Mandatar und Ex-ÖBB-Finanzvorstand
Arnold Schiefer, FPÖ-Mandatar und Ex-ÖBB-Finanzvorstand
Susanne Fürst, FPÖ-Mandatarin und Juristin
Susanne Fürst, FPÖ-Mandatarin und Juristin
Norbert Nemeth, FPÖ-Klubdirektor
Norbert Nemeth, FPÖ-Klubdirektor
Reinhard Teufel, FPÖ-Klubobmann in Niederösterreich
Reinhard Teufel, FPÖ-Klubobmann in Niederösterreich
ÖVP: Suche nach dem geringeren Übel
Mit dem aktuellen Personal wird die ÖVP nicht als Juniorpartner mit der FPÖ koalieren. Zwar gibt es in der Industrie und den Ländern Fürsprecher einer Koalition mit Herbert Kickl. ÖVP-Chef Karl Nehammer schließt eine Zusammenarbeit mit diesem aber nach wie vor dezidiert aus. Insofern niemand gegen Nehammer putscht oder sich Kickl zurückzieht, ist Blau-Türkis also ausgeschlossen.
Die realistischste Alternative: Die Volkspartei schmiedet ein Zweckbündnis mit der SPÖ. Gespräche zwischen den Sozialpartnern sowie mit Vertretern von ÖVP und Wiener SPÖ laufen im Hintergrund bekanntlich schon länger. Da Türkis-Rot aber nur die dünnste aller möglichen Mehrheiten (92 der 183 Mandate) hätte, wird man zur Absicherung wohl die Neos ins Boot holen.
Voraussetzung: Es gelingt, die völlig unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ideen von SPÖ-Chef Andreas Babler und die ähnlichen Ansätze von Türkis-Pink in ein Programm zu gießen. Und zwar vor dem Hintergrund, dass die EU Österreich zu Sparmaßnahmen verpflichtet. Heißt: Die Dreier-Koalition müsste gleich mit unpopulären Maßnahmen starten. Der voraussichtliche Gewinner: Herbert Kickl.
Das ÖVP-Verhandlungsteam:
Karl Nehammer, ÖVP-Chef
Karl Nehammer, ÖVP-Chef
Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer
Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer
Christian Stocker, ÖVP-Generalsekretär
Christian Stocker, ÖVP-Generalsekretär
Karoline Edtstadler, ÖVP-Verfassungsministerin
Karoline Edtstadler, ÖVP-Verfassungsministerin
August Wöginger, ÖVP-Klubchef
August Wöginger, ÖVP-Klubchef
Claudia Plakolm, ÖVP-Staatssekretärin und JVP-Chefin
Claudia Plakolm, ÖVP-Staatssekretärin und JVP-Chefin
SPÖ: Sozialpartner könnten Brücken bauen
Obwohl die Sozialdemokratie das schlechteste Ergebnis der Geschichte und erstmals nur Platz 3 geschafft hat, sitzt Andreas Babler als Parteichef fest im Sattel und führt das Team, mit dem die SPÖ allfällige Sondierungs- oder Koalitionsgespräche führen wird. Besonderes Gewicht hat in dieser Gruppe, der Doris Bures, Eva-Maria Holzleitner und Philipp Kucher angehören, Wolfgang Katzian. Der ÖGB-Chef gilt nicht nur als mächtiger Genosse in der Gewerkschaftsbewegung, sondern gleichzeitig als Verbinder in den ÖVP-Wirtschaftsflügel.
Am Dienstag treffen einander Karl Nehammer und Andreas Babler zum informellen Austausch. Babler will nicht um jeden Preis regieren, ist aber bereit, inhaltliche Abstriche zu machen, um einen Kanzler Kickl zu verhindern. In der SPÖ heißt es, man könne sich mit der ÖVP durchaus „Leuchtturmprojekte“ im Bereich der Bildung oder beim Sozialen vorstellen. Und angesichts der schwächelnden Wirtschaft sei ein „Konjunkturpaket“, in dem die Sozialpartner sich verwirklichen, ein mögliches Ziel. Vorerst ist die SPÖ aufs Warten reduziert. „Denn als Dritter liegt der Ball jedenfalls nicht bei uns“, sagt ein roter Stratege.
Das SPÖ-Verhandlungsteam:
Andreas Babler, SPÖ-Chef
Andreas Babler, SPÖ-Chef
Eva-Maria Holzleitner, SPÖ-Frauen
Eva-Maria Holzleitner, SPÖ-Frauen
Philip Kucher, SPÖ-Klubobmann
Philip Kucher, SPÖ-Klubobmann
Doris Bures, Mitglied des Nationalratspräsidiums
Doris Bures, Mitglied des Nationalratspräsidiums
Wolfgang Katzian, ÖGB-Chef
Wolfgang Katzian, ÖGB-Chef
Neos: Der zweite Wahlgewinner will mitregieren
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte schon vergangenen Dienstag alle Parteichefs zu Gesprächen eingeladen – doch bis dato ist diesen niemand nachgekommen. Seit Donnerstag steht das pinke Sondierungsteam, das von Meinl-Reisinger, deren Stellvertretern (Christoph Wiederkehr und Claudia Gamon), Generalsekretär Douglas Hoyos, Klubdirektor Armin Hübner und Vizeklubobmann Nikolaus Scherak gebildet wird. Meinl-Reisinger will vor ihrem Gespräch mit dem Bundespräsidenten „aus Respekt“ weder zur Taktik noch zu Forderungen ihrer Partei Stellung nehmen.
Klar sei, dass ein saniertes Budget Priorität habe, das sei aber maßgeblich davon abhängig, welche Reformen möglich sind – und was diese kosten oder einsparen würden. Das Thema Bildung mit den Wahlkampfforderungen wie 20.000 zusätzlichen Lehrkräften bleibe ebenso wesentlich für die pinke Partei wie die Frage einer Transparenzreform, die Finanzen und Entscheidungen transparent machen soll. Nicht gerade niedrig Hürden für allfällige Regierungsgespräche. Dennoch war die Chance für ein Mitregieren in der ersten Ampelkoalition – ÖVP/SPÖ und eben Neos noch nie so hoch wie jetzt.
Die Verhandler der Neos:
Beate Meinl-Reisinger, Neos-Chefin
Beate Meinl-Reisinger, Neos-Chefin
Douglas Hoyos, Neos-Generalsekretär
Douglas Hoyos, Neos-Generalsekretär
Nikolaus Scherak, Neos-Mandatar
Nikolaus Scherak, Neos-Mandatar
Claudia Gamon, Stv. Neos-Chefin
Claudia Gamon, Stv. Neos-Chefin
Grüne: Regieren nur mit Klimaschutz als Priorität
Nach ihrer ersten Regierungsbeteiligung im Bund sind die Grünen anteilsmäßig der klare Verlierer dieser Wahl (–5,7 Prozentpunkte). Dass das kein Auftrag ist, erneut in eine Regierung einzutreten, ist dem Team um Werner Kogler bewusst. Der Wille, für den Klimaschutz weiterzuarbeiten, ist aber ungebrochen. Eine Beteiligung in einer Koalition mit ÖVP und SPÖ kommt für sie auch nur dann infrage, wenn Klimaschutz an oberster Stelle steht.
Ein hoher Anspruch an die möglichen Partner, die bekanntlich andere Schwerpunkte setzen. Scheitern könnte es auch an einer Personalie: ÖVP-Kanzler Nehammer will Leonore Gewessler nach dem Streit um das EU-Renaturierungsgesetz nicht mehr zur Ministerin machen. Für Kogler ist sie aber fix gesetzt – und sie wird auch bei den Sondierungen mit am Tisch sitzen. Ebenso dabei: Vizechef Stefan Kaineder aus OÖ, Klubchefin Sigrid Maurer, Ministerin Alma Zadić, Minister Johannes Rauch und Generalsekretärin Olga Voglauer.
Hinter den Kulissen glaubt bei den Grünen deshalb kaum jemand an eine weitere Regierungsperiode – man bereitet sich auf die Oppositionsrolle vor und warnt schon jetzt vor Rückschritten beim Klimaschutz durch Sparpakete.
Das Verhandlungsteam der Grünen:
Werner Kogler, Grünen-Chef
Werner Kogler, Grünen-Chef
Johannes Rauch, Gesundheitsminister
Johannes Rauch, Gesundheitsminister
Sigrid Maurer, Grüne Klubchefin
Sigrid Maurer, Grüne Klubchefin
Olga Voglauer
Olga Voglauer, Generalsekretärin der Grünen
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