Warum Erdoğan die Hagia Sophia in eine Moschee umwandeln will
Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül kann es kaum erwarten. „Wir alle wünschen uns, dass die Ketten der Hagia Sophia gesprengt werden“, sagte der Minister kürzlich. Die „Ketten“, das sind aus Sicht von Gül die derzeit geltenden Vorschriften für den 1.500 Jahre alten Bau in der Altstadt von Istanbul: Die Hagia Sophia wurde im sechsten Jahrhundert als Hauptkirche des Byzantinischen Reiches gebaut, im 15. Jahrhundert von den Osmanen zur Moschee erklärt und schließlich im Jahr 1935 von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, zu einem Museum gemacht, in dem Gottesdienste verboten sind.
Das soll sich jetzt ändern. Ein Gerichtsverfahren in der Hauptstadt Ankara an diesem Donnerstag soll die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee einleiten – ein lange gehegter Wunsch türkischer Islamisten, dem sich die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan angeschlossen hat: „Der Countdown hat begonnen“, freut sich die Erdoğan-nahe Zeitung Sabah.
Dass Erdoğan und seine Minister ausgerechnet jetzt in der Hagia Sophia islamische Gebete ermöglichen wollen, liegt an der sinkenden Beliebtheit der Regierung. Die Wirtschaftslage ist schlecht und hat sich durch die Corona-Krise noch verschärft – der als Devisenbringer wichtige Tourismus ist bisher ein Totalausfall. Die Situation sei besorgniserregend, warnen Kritiker. Erdoğans Regierung braucht dringend positive Nachrichten.
Bei dem Ziel, die Hagia Sophia zur Moschee zu erklären, weiß der Präsident eine große Mehrheit der Türken hinter sich. In Umfragen sprechen sich mehr als 70 Prozent der Wähler dafür aus. Auch Erdoğans rechtsgerichtete Koalitionspartnerin, die Partei MHP, ist dafür.
Nationalistische Karte
Die Umwandlung soll an nationale Gefühle der Türken appellieren. Die Hagia Sophia ist bei türkischen Nationalisten ein Symbol des damals christlichen Konstantinopel – des heutigen Istanbul – durch die muslimischen Osmanen im Jahr 1453. Jetzt soll die Umwidmung zur Moschee als Aktion zur Stärkung der nationalen Einheit und zur Abwehr angeblicher Feinde genutzt werden: Erdoğan will die Umwandlung laut Medienberichten am 15. Juli vollziehen, dem Jahrestag des Putschversuches von 2016.
Auf dem Platz vor der Hagia Sophia, auf dem sich Corona-bedingt derzeit nur wenige Besucher finden, sind die Meinungen geteilt. Er habe kein Problem damit, wenn der Bau wieder zur Moschee werde, sagt Yagan, ein türkischer Tourist aus Adana im Süden des Landes. Dagegen ärgert sich ein älterer Herr über die Pläne: Er verdient seinen Lebensunterhalt unter anderem mit dem Verkauf von Museumspässen an Touristen – doch wenn die Hagia Sophia kein Museum mehr wäre, sondern eine Moschee, dann könnte der Staat auch keine Eintrittsgelder mehr für das Gebäude verlangen. „Und dann? Was mache ich dann?“, fragt der Kartenverkäufer.
Nun warten alle Türken auf die Gerichtsentscheidung. Das oberste Verwaltungsgericht der Türkei in Ankara hat darüber zu entscheiden, ob der Kabinettsbeschluss aus den 1930er-Jahren rechtens war, mit dem Atatürk die Hagia Sophia zu einem Museum machte. Dass die Richter Erdoğan in die Parade fahren, erwartet niemand in der Türkei: Presseberichten zufolge dürften die Richter den Weg zur Umwandlung freimachen.
Griechenland-Protest
Was mit der Hagia Sophia geschehe, sei allein Sache der Türkei, sagte Justizminister Gül. Das sieht der türkische Nachbar Griechenland allerdings ganz anders. Athen protestiert schon jetzt heftig gegen die mögliche Umwidmung. Für die Griechen ist die Hagia Sophia nach wie vor ein wichtiges Symbol des orthodoxen Christentums und des kulturellen Erbes von Byzanz. Die griechische Regierung will die internationale Gemeinschaft gegen die Umwandlungspläne in Stellung bringen – doch Erdoğan dürfte sich davon kaum von seinem Kurs abbringen lassen.
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