Warum der türkische Präsident Erdoğan Österreich verflucht
Immer wenn es um die Palästinenser und den Gazastreifen geht, greift der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in die Vollen. Schon 2009 redete er sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos wegen der israelischen Angriffe auf die Küstenregion derart in Rage, dass er wenig später wutschnaubend das Podium verließ und für einen internationalen Eklat sorgte. Und jetzt belegte der 67-Jährige Österreich mit einem Fluch, weil auf dem Kanzleramt und dem Außenministerium im aktuellen Gaza-Konflikt die israelische Flagge wehte. Die Alpenrepublik wolle wohl, „dass die Muslime den Preis dafür zahlen, dass sie die Juden einem Genozid unterzogen hat“.
Nahost-Konflikt spaltet Israel, Europa und die Welt - auch Österreich involviert
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) wies diese Äußerungen und zitierte den türkischen Botschafter ins Außenamt. „Die Vorwürfe des türkischen Präsidenten richten sich von selbst. Mit Schaum vor dem Mund wird sich der Nahost-Konflikt nicht lösen lassen“, erklärte Schallenberg am Dienstag in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Kritik an den Aussagen Erdogans kam auch aus der FPÖ.
Israelische Flagge gehisst
„Erdoğan war diese Geste Österreichs durchaus willkommen, es passte ihm ins Spiel“, analysiert Cengiz Günay, Politologe am Österreichischen Institut für Internationale Politik, im KURIER-Gespräch. Mit solch starken Worten versuche er, seine bröckelnde Wählerbasis in der Heimat zu stabilisieren und von massiven innenpolitischen Problemen abzulenken. Wobei der Wissenschaftler mit türkischen Wurzeln auch Wien vorwirft, mit der Fahnenaktion einen „sehr komplexen Konflikt populistisch simplifiziert“ zu haben. Und das mit einem anti-muslimischen Subtext.
Schirmherr der Muslime
„Diesen Ball hat Erdoğan gerne aufgenommen, um sich neuerlich als oberster Schirmherr der Muslime im Allgemeinen und der Palästinenser im Besonderen aufzuschwingen“, sagt Günay. Diese „Erzählung funktioniere zwar nicht mehr so gut wie früher, „doch bei Menschen, die sich selbst als unterdrückt wahrnehmen, zieht sie nach wir vor“.
Das gelte in abgewandelter Form auch für die türkische Community in Österreich und auch in Deutschland: „Diese fühlt sich teilweise anti-muslimischem Rassismus ausgesetzt und ausgegrenzt“, formuliert der Politologe. Solche Parolen würden auf fruchtbaren Boden fallen, was sich in guten Wahlergebnissen für Erdoğans AKP hierzulande niederschlage.
In der Türkei habe der streng-gläubige Politiker mit seiner polarisierenden Freund-Feind-Strategie schon mehrere Urnengänge für sich entscheiden können. Und jetzt stehe er unter Druck, so Günay, die Zustimmungsraten gingen rapide zurück: „Und dazu kommt, dass er Konkurrenz aus den eigenen Reihen erhalten hat – durch die Abspaltung von Splitterparteien.“
Hohe Arbeitslosigkeit
Ausschlaggebend für die schlechter werdenden Umfragewerte sei aber vor allem die Wirtschaft. „Die war bereits vor der Corona-Krise schwer angeschlagen, die Pandemie zeigte die strukturelle Schwäche dann schonungslos auf“, erläutert der Politologe. Die hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen sorge bei der heranwachsenden Generation für Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Generell ist Cengiz Günay der Auffassung, dass sich das System AKP nach 20 Jahren an der Macht „abgenützt“ habe. Korruption und Vetternwirtschaft würden vieles überlagern, Ungerechtigkeiten die Menschen verärgern. „Die Bodenhaftung ging verloren, stattdessen geht es um den puren Machterhalt“, sagt der Experte. Andersdenkende oder Kritiker würden gerne in Bausch und Bogen als „Terroristen“ verunglimpft – und landen nicht selten genau deswegen im Gefängnis.
Urlaub in der Türkei?
Ob die anlaufende Tourismussaison einen Schub für die Wirtschaft und damit die Umfragekurve des türkischen Präsidenten bringen werde, müsse sich erst weisen (ein knallharter Lockdown endete am Montag). „Im Prinzip aber, denke ich, schreckt die Menschen ein islamischer Populismus der Marke Erdoğan eher ab, ins Land zu kommen.“
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