Wahl in Dänemark: Ein nordisches Politdrama
Nicht nur, aber auch der Netflix-Erfolgsserie "Borgen" hat die dänische Politik die große internationale Aufmerksamkeit zu verdanken. Verblüffend oft nahm das Politdrama Wendungen, die später tatsächlich in der Politik Dänemarks folgten – wie die Wahl der ersten weiblichen Premierministerin 2011.
Genauso wie der fiktiven Ministerpräsidentin der Serie, Brigitte Nyborg, in der letzten Staffel ein Misstrauensvotum drohte, dem sie mit einem Rücktritt gerade noch so entkam, konnte auch die echte Ministerpräsidentin Dänemarks, Mette Frederiksen, dieses in letzter Minute abwenden – und rief vor knapp vier Wochen Neuwahlen aus.
Die sozialliberale Partei Radikale Venstre hatte gedroht, ihr die Unterstützung ihrer Minderheitsregierung zu entziehen – wegen der berüchtigten Nerztötung in der Corona-Pandemie, für die es keine Rechtsgrundlage gab. Am Dienstag werden die 179 Sitze im Folketing, dem Parlament, neu gewählt.
Schon bevor Frederiksen 2015 Parteichefin und 2019 Ministerpräsidentin wurde, galt sie als Vorzeigepolitikerin der Sozialdemokraten. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel in Nordjütland, mit zwei Gewerkschaftern als Eltern, trat sie als Jugendliche der südafrikanischen Anti-Apartheid-Partei ANC bei und spendete ihr Taschengeld zur Rettung der Wale. Mit 24 Jahren wurde sie ins Folketing gewählt, und setzte sich gegen Dänemarks Migrationspolitik ein.
Strikter Migrationskurs
Heute ist ihr Ausländerkurs noch restriktiver, als sie damals war. "Aus Ideologie ist Pragmatismus zum Machterhalt geworden", sagt Politikwissenschafter Peter Nedergaard von der Universität Kopenhagen. Heute kooperiert Frederiksen bei sozialpolitischen Fragen mit linken Parteien; wenn es um Migranten geht, mit rechten. Sie habe "ganz einfach gemerkt", dass 75 Prozent der Menschen für eine harte Ausländerpolitik sind, sagte die 44-Jährige einmal zu ihrem Gesinnungswandel.
Seit sie 24 Jahre alt ist, sitzt Mette Frederiksen (44) im Parlament. 2019 wurde sie Ministerpräsidentin, regierte mit einer Minderheitsregierung (48 von 179 Sitze). In der Bevölkerung gilt sie als beliebt, zeitweise genoss sie Zustimmungswerte von über 80 Prozent. Ihr größter Fauxpas, der zu den Neuwahlen führte: die Tötung von 15 Millionen Nerzen.
Im Herbst 2020 hatte Frederiksen aus Furcht vor Corona-Virusmutationen rund 15 Millionen Nerze töten lassen. Rechtsgrundlage gab es dafür keine. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, mehrere Staatssekretäre traten zurück. Die Nerzzucht ist nach wie vor ausgesetzt.
Dennoch ist Migration – im Gegensatz zu 2019 – kein großes Thema im Wahlkampf. Auch die elfprozentige Inflation, die Energiekrise, die geopolitische "Zeitenwende" oder die Corona-Pandemie bestimmen diesen nicht. Alles dreht sich überraschenderweise um die Personalprobleme im Gesundheitssektor, die in Resteuropa zwar genauso vorhanden sind, jedoch noch lange nicht so intensiv diskutiert werden.
Pflegemisere
Medienberichten zufolge haben in Dänemark heuer 28 Prozent weniger junge Frauen und Männer eine Ausbildung zum Pflegepersonal begonnen als im Vorjahr. Die Gründe: schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne. Ähnlich sieht es bei Kindergärtnern und Lehrern aus. Laut einer Prognose der Analysfirma "Damvad Analytics" werden Dänemark im Jahr 2030 mehr als 35.000 Stellen in diesen Branchen nicht besetzt werden können. Vergangene Woche verkündete Frederiksen, ihre Regierung wolle ab 2030 jährlich drei Milliarden Kronen (275 Millionen Euro) zur Verfügung stellen, um mehr Arbeitskräfte in den Pflegebereich zu bekommen. Ein Wahlzuckerl sei das aber nicht, so die Noch-Regierungschefin.
Taktik oder nicht, Frederiksens Wiederwahl ist trotzdem nicht sicher. Umfragen sagen ihrer Partei zwar das stärkste Einzelergebnis (26 Prozent) voraus, doch die beiden traditionell dominierenden Blöcke im Parlament – Linke und Konservative – liefern sich derzeit noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Ob nach den Wahlen Links oder Rechts den Premier stellt, das hängt dann von Lars Løkke Rasmussen ab. Der umstrittene Ex-Ministerpräsident des Landes könnte mit seinen neu gegründeten konservativ-liberalen Moderaten mit neun Prozent die drittstärkste Kraft hinter den rechtsliberalen Venstre (13 Prozent) werden. Er positioniert sich zwischen den beiden Blöcken und ist somit "König(innen)macher".
Rasmussen hat einen Vorteil: Als Ex-Gesundheitsminister traut ihm laut Umfragen der Großteil der 4,3 Millionen wahlberechtigten Dänen am ehesten zu, das Pflegeproblem lösen zu können.
Kommentare