Von der EU-Rückkehrkoordinatorin Mari Juritsch nach Dänemark. Innenminister Gerhard Karner ist in Sachen Asylpolitik gerade höchst aktiv. In dem skandinavischen Land will er sich Anregungen holen und Möglichkeiten ansehen, um in der Migrationspolitik neue Wege zu beschreiten. Just in Dänemark, einem von einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung geführten Land, unterstützt von einer Splittergruppe, die irgendwo zwischen Neos und Grünen angesiedelt werden könnte.
Mit Mette Frederiksen steht eine 45-jährige Frau als Ministerpräsidentin an der Spitze, nur zwei von 19 Ministerinnen und Ministern sind über 50 Jahre alt. Diese Regierung hat sich einer höchst restriktiven Flüchtlingspolitik verschrieben. Die Sozialdemokraten haben nach einem Machtverlust im Jahr 2000 die Asyl- und Migrationspolitik von Mitte rechts übernommen, „zum Schutz des dänischen Sozialstaates“, wie argumentiert wurde und wird. Die dänische Asylpolitik gestaltete sich aber mitunter derart überzogen, dass die für ihre harte Ausländerpolitik bekannte ehemalige dänische Integrationsministerin Inger Støjberg wegen einer ungerechtfertigten Abschiebung im Jahr 2016 sogar zu zwei Monaten Haft verurteilt wurde.
Aber prinzipiell gefällt die harte Linie der Dänen dem österreichischen ÖVP-Innenminister durchaus, wie die Stimmung bei den Gesprächen in Dänemark zeigt. Mit der EU-Rückkehrkoordinatorin war das Gesprächsklima ein anderes gewesen.
Den neuen dänischen Minister für Migration und Integration, Kaare Dybvad Bek, hat Karner eben erst kennen gelernt. Seit 2. Mai dieses Jahres ist Dybvad Bek im Amt, seiner Einladung, sich doch mal das dänische System anzuschauen, ist der Innenminister gerne gefolgt.
Niedrige Asylzahlen in Dänemark
Aber wie ist die Situation in Dänemark? Entspannter als in Österreich. Insgesamt leben rund 850.000 Migranten in dem 5,8 Millionen Einwohner Staat im Norden von Deutschland.
Dänemark unterscheidet zusätzlich noch in Migranten nicht westlicher Herkunft. 535.000 sind es aktuell. Hier gibt es seit Jahren Bestrebungen, Wohnbereiche, in denen überwiegend eben jene Migranten nicht westlicher Herkunft leben, mithilfe der Wohnungspolitik derart neu zu gestalten, dass überall der Prozentanteil unter 30 Prozent fällt. Aber das war nicht das Thema des Besuchs.
Da ging es vielmehr um Asyl und Migration. 2020 zählte Dänemark gerade einmal 1.515 Asylanträge, 2021 waren es 2.095. Dazu kamen rund 4.000 Zuwanderer, die über die Familienzusammenführung legal ins Land kommen durften. 2022 folgte eine spürbare Steigerung: Bis 7. August wurden bereits 3.000 Asylanträge in Dänemark gezählt. Im Vergleich zu Österreich: Peanuts. Bei uns wurden im ersten Halbjahr bereits 31.051 Asylanträge gezählt, zuletzt hauptsächlich aus Indien. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum nur 10.867 Anträge.
Die Herkunft der Asylwerber in Dänemark: Syrer, Afghanen und viele aus Eritrea in Afrika. Neuerdings flüchten auch viele Weißrussen nach Dänemark. Und aus der Ukraine sind rund 31.000 Menschen ins Land gekommen.
Die vier Säulen dänischer Migrationspolitik
Generell zeigt die restriktive Asylpolitik der Dänen Wirkung, auch wenn die Zahlen zuletzt – auf niedrigem Niveau – gestiegen sind. Kernpunkte der dänischen Asylpunkte sind vier Säulen:
Säule 1: Minimale Einwanderung von Personen aus Drittstaaten.
Säule 2: Effektivere Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern.
Säule 3: Flüchtlingsaufnahmezentren außerhalb der EU.
Säule 4: Bessere Integration von Migranten aus nicht westlichen Ländern, was nur am Rande Thema der Gespräche war. In Dänemark gibt es niedrigere Transferleistungen für Ukraine Vertriebene und Asylberechtigte als Mindestsicherung, mit dem Jobcenter wird ein Integrationsplan festgelegt. Die Botschaft: „Migranten haben Rechte, aber auch Pflichten."
Hjemerejseloven - der dänische Return-Act
Zu diesen Säulen haben sich Innenminister Karner und sein dänischer Kollege intensiv ausgetauscht:
Der Säule 1, dem Anspruch der minimalen Einwanderung, spielt natürlich die geografische Lage in die Karten. Aber auch das „Marketing“, schließlich gilt Dänemark – siehe oben – als Land mit restriktiver Einwanderungspolitik. Das hat sich schon durchgesprochen.
Der Säule 2 - effektivere Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern - wird besonderes Augenmerk geschenkt: Hjemerejseloven. So heißt der seit 2021 in der dänischen Asylpolitik eingesetzte Return Act, die Rückführungsagenda der neuen Rückführungsagentur. Die Agentur betreibt drei Rückkehrzentren und zwei Ausreise-Einheiten auf dänischen Flughäfen. Viel Geld und personelle Ressourcen investiert Dänemark in diese effektive Rückführung von abgelehnten Asylwerbern. Insgesamt 300 Personen arbeiten in der Agentur, die im Ministerium für Migration angesiedelt ist.
Damit werden Polizeiressourcen geschont, der Fokus liegt auf der freiwilligen Rückkehr, neue Methoden werden ausprobiert. Ein erster Punkt ist die konsequente Prüfung, ob für das Verfahren Dänemark zuständig ist. Wenn nicht: Rückführung durch die neue Agentur an das zuständige Land nach dem Dublin-Abkommen. So weit das mit dem jeweiligen Land möglich ist.
Später wird mit abgelehnten Asylwerbern jedenfalls ein Rückführungsabkommen getroffen. Das bedeutet, unmittelbar nach dem mündlichen Bescheid über die Ablehnung eines Asylantrages gibt es den ersten Kontakt, wöchentlich ein Gespräch bei der Polizei.
Von Jänner bis Juni dieses Jahres ist es dieser Behörde gelungen, die Zahl der Personen in den Ausreisezentren von 1.155 auf 664 Personen zu senken. "Wir schauen uns an, wer unsere Kunden sind, welche Bedürfnisse und Ängste sie haben", schildert ein Abteilungsleiter den Zugang, gerade so, als würde er eine Urlaubsreise verkaufen wollen.
"Geld to go": 5.400 Euro für freiwillige Rückkehr
Was dabei sicher hilft: der finanzielle Anreiz. 2.700 Euro gibt es für einen Rückkehrwilligen, und wenn dieser der Rückführung in sein Heimatland unmittelbar nach der Ablehnung unter Verzicht auf weitere Rechtsmittel und Instanzenzüge zustimmt, gibt es nochmals 2.700 Euro Bonus drauf. Das "Verkaufsargument": "90 Prozent aller Verfahren in der zweiten Instanz werden negativ entschieden, das sagen wir den Menschen auch sehr deutlich", heißt es dazu aus der Rückführungsagentur. Das, in Kombination mit der unmittelbaren Ansprache nach dem Bescheid und der intensive verpflichtende Kontakt, wirkt in Dänemark: Geld to go sozusagen, das am Gate vor dem Einstieg in den Flieger ausgehändigt wird. Mittlerweile erfolgen 90 Prozent der Rückführungen freiwillig – vor Installierung der Agentur waren es 60 Prozent.
Und wer sich in dem Verfahren nicht kooperativ zeigt, dem kann das im Vorfeld von zwangsweisen Abschiebungen - Stichwort Schubhaft - nachteilig angelastet werden.
In Österreich gibt es 900 Euro für eine freiwillige Rückkehr vor dem Erhalt des Bescheides, danach nur noch 250. Und Unterstützungsleistungen im Heimatland, über Frontex.
Dänische Haftstrafe im Kosovo verbüßen
Apropos Schubhaft: Mit dem Kosovo gibt es eine in den Endverhandlungen befindliche Vereinbarung über ein Gefängnis für in Dänemark straffällig gewordene Ausländer. Diese Personen, ganz unabhängig davon, ob Asylwerber, Asylberechtigter oder aus anderen Gründen bislang legal in Dänemark aufhältig, sollen künftig in ein Gefängnis im Kosovo überstellt werden, wenn ihnen aufgrund des Delikts auch die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird. Die Zuständigkeit dafür liegt beim dänischen Justizminister, derzeit sind die finalen Gespräche der politisch Verantwortlichen im im Laufen.
Eine weitere Aufgabe der Rückkehragentur ist die Analyse der vorgelegten Dokumente. Im ID-Center, einem technisch gut ausgestatteten Labor, werden in kriminalistischer Kleinstarbeit Dokumente auf ihre Echtheit geprüft. Dabei entgeht den Experten fast keine Fälschung eines Passes oder einer Geburtsurkunde mehr. Ein wichtiger Baustein für die Agentur, um Personen zu entlarven, die sich in Dänemark Asyl erschwindeln wollen.
Da ist dann noch die Säule 3: Die bereits heftig diskutierten Flüchtlingsaufnahmezentren außerhalb der EU. Diese sind für EU-Länder aktuell gesetzlich nicht möglich. Für Dänemark schon, da das Land beim EU-Beitritt für die Asylpolitik die Option gewählt hat, EU-Regelungen in der Migrationsfrage nicht anwenden zu müssen. Sprich: Die Pläne Dänemarks, Asylverfahren etwa in Ruanda abwickeln zu lassen, sind für die Dänen möglich, nicht jedoch für Österreich oder die EU. Karner dazu: „Uns ist bewusst, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der EU dafür nicht vorliegen. Mir geht es darum, einen Diskussionsprozess darüber innerhalb der EU in Gang zu setzen.“
Wer nach Dänemark will landet in Afrika
Dänemark will seine Asylwerber nach Antragstellung jedenfalls in den afrikanischen Staat bringen. Dort sollen die Verfahren abgewickelt werden. Im Falle einer Asylgewährung gibt es Schutz in Ruanda, die Menschen können dort verbleiben. Im Falle einer Ablehnung übernimmt Ruanda die Rückführung in die Heimat. So will man Schleppern das Geschäftsmodell entziehen, erklärt der Minister für Migration Kaare Dybvad Bek. Die Botschaft: Wer etwa um viel Geld mit Hilfe von Schleppern aus Afrika flüchten will, landet wieder in Afrika.
Dänemark holt im Gegenzug aus anderen Flüchtlingslagern Schutzbedürftige ins Land, vornehmlich Frauen und Kinder.
Großbritannien arbeitet an einem ähnlichen Plan, in der EU ist das rechtlich nicht möglich. Das weiß Innenminister Karner, er will aber, dass dennoch auf EU-Ebene darüber diskutiert wird. Gefallen am Modell hat er gefunden, über die Ausgestaltung in der EU müsse man noch reden, so Karner. Er sei auch gewiss, neben Dänemark weitere Partner in der EU für eine zumindest am dänischen Modell angelehnte Vorgangsweise zu finden: „Wir wollen Asylverfahren in Drittstaaten durchführen, damit sich die Menschen gar nicht auf den Weg machen. Legale Migration müssen wir hingegen ermöglichen, was wir auch schon tun.“
Man müsse sich die Erfahrungen der Dänen anschauen und daraus lernen. Und der dänische Minister pflichtet bei: "Wir müssen die Migration kontrollieren. Es braucht neue Resultate auf europäischer Ebene." Den Austausch mit dem österreichischen Innenminister findet er "inspirierend".
Dänen stehen hinter Asylpolitik
Das Ruanda-Projekt hat in der juristischen Vorbereitung weit mehr als ein Jahr gedauert. Es könnte noch bis zu einem Jahr dauern, bis die Verfahren tatsächlich in Afrika abgehandelt werden. Aber es könnte mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen in Dänemark spätestens im Frühjahr, vielleicht aber noch heuer, auch schneller gehen. Das dänische (Wahl-)Volk begrüßt den rigorosen Ausländerkurs seiner sozialdemokratischen Minderheitsregierung.
Denn das ist ein wichtiger Faktor: Die Bevölkerung in Dänemark trägt diese Politik mit. Diese Unterstützung hat sich auch bei einer – nicht repräsentativen – Umfrage in der Kopenhagener Innenstadt stimmungsmäßig gezeigt. Für den Regierungspartner hingegen stellt der harte Migrationskurs immer mehr eine Belastung dar. Was wiederum für Innenminister Gerhard Karner keine Überraschung ist.
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