Migration nimmt zu: Mehr Asylanträge als im Krisenjahr 2015
Indien, Tunesien oder Marokko: Für Migranten aus solchen „Urlaubsländern“ bestehe in Österreich kaum eine Chance auf einen positiven Asylbescheid. Das sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Mittwoch nach einem Treffen mit der Rückkehrkoordinatorin der Europäischen Kommission, Mari Juritsch. Karner will „klare Kante“ zeigen: „Diese Menschen haben hier keine Chance auf Asyl und müssen rasch wieder in ihre Heimat zurückkehren.“
Fest steht: Die Asylzahlen in Österreich steigen heuer signifikant. Bis Ende Juni wurden 31.051 Asylanträge gestellt – alleine im Juni waren es mehr als 9.000. Der Großteil der Flüchtlinge, rund 27.000 Personen, ist männlich.
2015 überholt
Zum Vergleich: Selbst 2015, als der Syrien-Krieg eine massive Flüchtlingswelle gen Europa lostrat, war die Zahl der Anträge zu diesem Zeitpunkt des Jahres niedriger und lag bei rund 28.500.
Mit Blick auf alle Flüchtlinge, die sich derzeit in Österreich aufhalten – darunter viele Ukrainer, die keinen Asylantrag gestellt haben – meint Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im KURIER-Interview: „Wir haben 2022 bereits jetzt so viele Vertriebene aufgenommen wie bis Ende 2015 Asylanträge gestellt wurden.“
Auf die Zahl der Asylanträge hatte der Ukraine-Krieg bisher kaum Auswirkungen. Bis zur Jahreshälfte stellten lediglich 508 Ukrainer einen Antrag. Der Großteil der Antragssteller stammt aus Afghanistan, Syrien oder eben den von Karner genannten „Urlaubsländern“. „Faktum ist, dass wir Asylantragszahlen haben, die deutlich stärker sind als im letzten Jahr, um etwa 150 Prozent“, sagte Karner. Fakt sei auch, dass „wir ein System haben, das an der Grenze ist“.
Damit dieses intakt bleibe, müsse man nun die Zahl der Rückführungen steigern, meinte Karner. Ein bekanntes Versprechen, an dem bereits Karners Vorgänger im Großen und Ganzen gescheitert sind. In den vergangenen Jahren brachte Österreich im Jahresschnitt rund 11.000 Asylwerber außer Landes. Die eine Hälfte der Ausreisen erfolgt laut Innenministerium (BMI) freiwillig, die andere zwangsweise.
Das hat sich auch heuer nicht geändert: Bis Ende Juni mussten oder wollten 6.200 Menschen die Republik verlassen. Heißt im Umkehrschluss: Österreich ist mit einer deutlich höheren Zahl an Flüchtlingen konfrontiert, während die Zahl der Heimkehrer stagniert.
Das dänische Modell
Das Hauptproblem: Mit vielen Herkunftsstaaten besteht kein Rückführungsabkommen. In diesem Zusammenhang möchte Karner an EU-weiten Lösungen zu arbeiten. Heute, Mittwoch, reist er etwa nach Dänemark. Die Dänen arbeiten – wie Großbritannien – an folgendem Plan: Wer als Flüchtling nach Dänemark kommt, soll automatisch in einen anderen Drittstaat gebracht werden, wo das Asylverfahren durchgeführt wird. Ruanda und der Kosovo sind für dieses Verfahren im Gespräch, der Transport soll mit „unmittelbarem Zwang“ erfolgen, falls nötig. Kritiker werfen Dänemarks sozialdemokratischer Regierung deshalb „modernes Kolonialdenken“ vor.
Auch Karner hat bereits mit der dänischen Idee geliebäugelt und von einer „guten Lösung“ gesprochen. Im Gegensatz zu Österreich ist Dänemark aber nicht verpflichtet, sich an der gemeinsamen Asyl- und Integrationspolitik der EU zu beteiligen. Und die EU plant zur Stunde keine Lager für Asylverfahren in Drittstaaten. Eine viel schnellere Option, Österreichs Asylsystem kurzfristig zu entlasten, wäre sowieso die ungarische Variante: Migranten durchzuwinken.
Durchwinken?
Ein Erlass des Innenministeriums könnte diese Methode für Personen, die Österreich nur als Durchreiseland sehen, zumindest erleichtern.
Warum? Die meisten Flüchtlinge gelangen über die „grüne Grenze“ von Ungarn ins Burgenland. Um die burgenländische Polizei zu entlasten, können Erstaufnahmegespräche nun auch in anderen Bundesländern durchgeführt werden. Heißt: Im Burgenland stellen Beamten nur noch die Identität der Personen fest und nehmen etwa ihre Fingerabdrücke ab.
Danach erhalten die Flüchtlinge ein Zugticket, mit dem sie in ein anderes Bundesland reisen können, um ihr Aufnahmegespräch in einer dortigen Landespolizeidirektion durchführen zu können. Was durchaus passieren könnte: dass viele Personen erst gar nicht zum Aufnahmegespräch erscheinen, sondern mit ihrem Ticket in ein anderes Zielland weiterreisen – etwa nach Deutschland. Bis Ende Juni haben sich laut BMI 7.800 Personen dem Asylverfahren entzogen.
Steigt die Zahl durch diesen Erlass? Dem bayrischen Innenministerium liegen dazu bisher „keine Erkenntnisse vor“. Das BMI weist diese Darstellung zurück: Die Flüchtlinge seien auch ohne Erstaufnahmegespräch in Österreich registriert und könnten theoretisch laut Dublin-Verordnung nach Österreich rückgeführt werden.
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