Waffenruhe Israel-Hamas: Das Machtwort kam aus Übersee
„Ruhe gegen Ruhe.“ So fasste Israels Premier Benjamin Netanjahu schon vor Jahren das Ergebnis nach einer der vielen Kampfrunden mit der im Gaza herrschenden militant-islamistischen Hamas zusammen. Damals war noch von einem „Deal mit den Terroristen“ die Rede.
In der Nacht zum Freitag endete nach elf Kampftagen auch die „Operation Mauerwächter“ mit einer solchen „Waffenruhe“. Von Deal kann aber keine Rede sein. Alle wissen: Die Ruhe hört auf, wenn Hamas anfängt zu schießen. Die Ruhe fängt an, wenn Hamas aufhört zu schießen.
Hamas braucht Zivilopfer
Kurz: Alles bleibt, wie es war. Wieder verweisen beide Seiten auf „ihre Erfolge“. Doch auch wenn Tausende im Gazastreifen jubelten – niemand zählt die Hunderttausenden, die zu Hause blieben. Falls das Haus noch steht. Für Hamas gehören Zivilopfer in Gaza wie in Israel auf die Erfolgsseite. Sie nimmt bewusst Zivilopfer in Kauf. Je mehr Kinder unter den Getöteten, desto schneller die weltweiten Proteste, die ein Ende des Schlagabtauschs erzwingen.
Wie viele der Getöteten bewaffnete Hamas-Kämpfer waren, hält Hamas geheim. Erst später, meist zum Jahrestag der Gefallenen, gibt sie dann Namen und Ränge bekannt. Angaben, die den israelischen Zahlen auffallend ähnlich sind. 227 Tote sind es diesmal im Gazastreifen. Darunter laut Hamas-Angaben 64 Kinder. Israel schätzt die Zahl der Bewaffneten unter der Toten auf mindestens 200.
In Israel wurden durch Einschläge jener Raketen, die nicht abgefangen wurden (4369 wurden auf Israel abgefeuert) zehn Zivilisten getötet. Zwei Soldaten starben am Grenzzaun bei Angriffen mit Panzerfäusten. Im Vergleich zu früheren Kämpfen liegt die Opferzahl auf israelischer Seite diesmal höher.
Sieg in Materialschlacht
Israels Armee gibt an, „Hunderte Kilometer Kampftunnel“ zerstört zu haben. „Die Zerstörung von Hamas-Einrichtungen war nach den fünf ersten Kampftagen umfangreicher, als nach 50 Tagen im Jahr 2014,“ meldete ein Ex-General schon letzten Mittwoch. Andere Zahlen – aber nichts Neues: Israel siegt in der Materialschlacht. Hamas im Medienkrieg. Allerdings: Die zu erwartenden weltweiten Proteste nahmen sich letzte Woche bei Weitem nicht so umfangreich aus, wie während der „Operation Fels in der Brandung“ 2014. Auch wenn in Europa Proteste in offen antisemitische Kundgebungen ausarteten.
Selbstverteidigung
Fast schon tröstlich: Es waren ehemalige Feinde Israels am Golf und in Ägypten, die wieder vermittelten. Deren Erfolg dann durch ein Machtwort von US-Präsident Joe Biden beschleunigt wurde. In Israel wie in Washington sehen viele Biden als „heimlichen Sieger“. Die Kämpfe zwangen ihn früher als erwartet, im israelisch-palästinensischen Konflikt tätig zu werden. Mit Erfolg und ohne Israels Recht auf Selbstverteidigung infrage zu stellen. Eine Gruppe des linken Flügels der Demokraten kritisierte Israels Vorgehen letzte Woche heftig. Bidens Eingreifen begrenzte auch den Zwist in seiner Partei.
Netanjahu hätte lieber ein paar Tage dran gehängt. Erschweren die Kämpfe doch Versuche der Opposition, eine neue Regierung ohne Netanjahu auf die Beine zu stellen. „Ihm geht es nicht um unsere Ruhe“, kommentierte Alon Davidi, Bürgermeister von Sderot, der Stadt im Raketenhagel, „Raketen, die auf uns fallen, wird er auch in Zukunft ignorieren. Wie schon in der Vergangenheit. Nur wenn Tel Aviv oder Jerusalem beschossen werden, schlägt er hart zurück.“ Davidi gehört zu Netanjahus Likud-Partei.
Elf Tage Kämpfe haben vielleicht die Bildung einer neuen Regierung verhindern können. „Sie haben aber auch deutlicher als zuvor gezeigt, wie sehr er seine eigenen Interessen vor alle anderen stellt. Vor allem was seine Versuche angeht, sich der Strafverfolgung wegen Korruption zu entziehen“, meinte Ram Schefa von der Opposition am Freitag.
Was durch das Kabinett selbst bestätigt wurde. Mehrere Minister kritisierten Donnerstag öffentlich die „nur bescheidenen Erfolge des Militärs“.
Rund zwölf Stunden nach Beginn der Waffenruhekam es indes es auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Sharif) in Jerusalem zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Palästinensischen Rettungskräften zufolge wurden 15 Menschen behandelt, nachdem die Polizei unter anderem Gummigeschosse eingesetzt hatte.
Nach Angaben der Polizei wurden Polizisten zuvor aus einer Menge von Hunderten jungen Menschen mit Steinen und einem Brandsatz beworfen. Daraufhin seien Polizisten aufs Gelände vorgerückt.
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