Biden will, bevor Trump einen mutmaßlich Russland-freundlichen Waffenstillstand erzwingen will, den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij so ertüchtigen, dass er am Verhandlungstisch nicht aus einer Verlierer-Position antreten muss.
Trump persönlich hat sich dazu bisher auffallend bedeckt gehalten. Was in Washington den Verdacht erzeugt, er trage die Maßnahme insgeheim mit, über die Biden mit ihm während des zweistündigen Aufenthalts im Weißen Haus neulich gesprochen haben könnte.
Aus Trumps Umfeld gab es nur wenige Stimmen, die in dem Raketenbeschluss die Gefahr eines Dritten Weltkrieges erkannt haben wollen.
Zweitens: Drogenpolitik
Weitere Spielräume, auf der letzten Etappe nachhaltig aktiv zu werden, sehen Beobachter in Politik und Medien etwa in der Drogenpolitik. Biden könnte empfehlen, Marihuana auf Bundesebene endlich zu entkriminalisieren.
Damit korrespondiert die Option, zigtausende wegen nicht gewalttätiger Drogendelikte in Bundesgefängnissen einsitzende Menschen, überproportional viele Afroamerikaner, zu begnadigen. Überhaupt könnte Biden, wie es viele scheidenden Präsident gemacht haben, hunderten Inhaftierten den frühzeitigen Weg in die Freiheit ebnen; noch hat er sich dazu nicht klar geäußert.
Drittens: Außenpolitik
Biden könnte auch das Verhältnis zu Kuba aufhellen, diplomatische Beziehungen wiederherstellen und das sozialistische Inselreich von der Liste der staatlichen Terror-Sponsoren nehmen.
Im Israel-Gaza-Konflikt ist denkbar, wie es im Umfeld der Regierung heißt, dass Biden neben Sanktionen gegen israelische Siedler in palästinensisch beanspruchten Gebieten strengere Bedingungen für Waffenlieferungen an Israel verhängt. Ebenfalls könnte der Demokrat Maßnahmen ergreifen, um die iranischen Öl-Exporte empfindlich zu senken.
Um die Ukraine militärisch wettbewerbsfähig zu halten, könnte Biden aus bestehenden Rest-Budgets weitere Milliarden-Hilfen für Kiew initiieren.
Beim Zankapfel illegaler Einwanderung halten Experten es für möglich, dass Biden die Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen beschleunigt, mehr Arbeitserlaubnisse erteilen lässt und das Bleiberecht stärkt; wissend, dass Trump das nach Amtsantritt mit einem Federstrich zunichte machen kann.
Viertens: Richterernennungen
Zu den nachhaltigsten Betätigungsfeldern gehört die Justiz. Um ein weiteres Abdriften nach rechts zu erschweren, wenn Trump ins Amt kommt, arbeitet Team Biden seit Wochen daran, jede offene Richterstelle an Bundesgerichten nachzubesetzen.
Trump hat in seinen ersten vier Amtsjahren 234 Ernennungen im Justizbereich vorgenommen, die zweithöchste Zahl aller Präsidenten in einer einzigen Amtszeit. Biden - derzeit bei 214 - kann ihn noch übertreffen. Rund 30 seiner Nominierungen hängen derzeit im Verfahrensgang. Dagegen laufen die Republikaner Sturm, die bis Januar 2020, als Biden ante portas und Trump der große Verlierer war, ähnlich vorgegangen sind.
Trump-Chef-Berater Elon Musk erklärt, dass Bidens „aktivistische“ Richterkandidaten „schlecht für das Land“ seien. Tenor: Der Senat, derzeit noch mit knapper Mehrheit in demokratischer Hand, müsse daran gehindert werden, auf den letzten Metern liberal-progressive Richter zu installieren. Dies konterkariere den Willen einer Mehrheit der Wähler.
"Nicht nur eine lahme Ente, sondern eine superlahme Ente"
Über die Durchschlagskraft Bidens bis zum 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung Trumps, gibt es geteilte Meinungen.
Sympathisanten der Demokraten glauben, dass der 46. Präsident mit kräftigen „Duftmarken” sein Erbe befestigen kann. Andere wie Erin Murphy vom Center for Strategic and International Studies (CSIS), sagen: „Er ist nicht nur eine lahme Ente, sondern eine superlahme Ente, weil sein Nachfolger eine ganz andere Politik verfolgen wird als er.”
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