"An die Leine gelegt": Wie Von der Leyen ihre neue EU-Kommission kontrolliert
"Teile und herrsche" nannten die Römer einst das Prinzip, das ihr Imperium zusammenhielt: Spalte die, die du regierst so auf, dass sie sich immer gegeneinander und nicht gegen dich wenden. An diese Grundregel des Herrschens hat sich auch Ursula von der Leyen gehalten, als sie das Team für ihre neue EU-Kommission zusammenstellte.
Noch am Tag nach der offiziellen Bekanntgabe im EU-Parlament in Straßburg rätseln politische Beobachter und viele Parlamentarier darüber, wer in dieser zukünftigen Kommission genau wofür zuständig sein wird - und mit wem diese Zuständigkeiten geteilt werden müssen.
"Aufhören, in diesen geraden Schienen zu denken"
"Wir in der EU-Kommission müssen aufhören, in diesen geraden Schienen zu denken", so formuliert es Von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert gegenüber der Presse: "Es geht darum, Verbindungen zwischen den Themen zu knüpfen, die Dinge ganzheitlich anzugehen."
Etwas weniger pompös bringt das Andreas Schieder, EU-Abgeordneter der SPÖ auf den Punkt: "Sie hat Aufgaben und Einflusszonen geschickt aufgeteilt - und sich selbst dadurch in ihren Entscheidungen freigespielt."
Wirtschaft und Klima eng verzahnt
Ganz deutlich wird das beim Thema Wirtschaft: Dem Thema, um das sich in der EU ja alles in den kommenden fünf Jahren drehen soll. Unablässig hat Von der Leyen betont, dass es jetzt darum gehe, Europas Wirtschaft besser für den globalen Wettbewerb zu rüsten.
Der Kampf gegen den Klimawandel, wichtigstes Ziel ihrer ersten Amtsperiode, muss jetzt mit der Wirtschaftspolitik Hand in Hand gehen. Die Kompetenzen dafür aber sind auf viele der Kommissare und auch unter den sechs mächtigen Vizepräsidenten der EU-Kommission aufgeteilt.
Da kümmert sich die die spanische, sozialdemokratische Vizepräsidentin Teresa Ribera um die Regeln für den wirtschaftlichen Wettbewerb, aber auch um den grünen, klimafreundlichen Umbau der Industrie. Im Klartext also darum, mit wie viel Geld - aus den Kassen der einzelnen EU-Länder, aber auch der EU selbst - in Förderungen fließt. Dabei aber muss sich Ribera wiederum mit einem anderen Vizepräsidenten absprechen, dem Franzosen Stéphane Séjourné, der für den EU-Binnenmarkt zuständig ist - und damit dafür, diese Förderungen aufeinander abzustimmen.
Dann hat natürlich Wirtschaftskommissar Vladis Dombrovskis ein Wörtchen mitzureden und dazu der Niederländer Wopke Hoekstra, der für das Klima, aber auch für "sauberes Wachstum" zuständig ist.
Schwer verständliche Amtstitel der Kommissare
Doch das ist nur die Spitze des großen Eisbergs Wirtschaft. Bei fast jedem der 27 EU-Kommissare ist ein Stück davon untergebracht. Entsprechend kreativ war die Namensgebung für die einzelnen EU-Kommissariate - und oft rätselt man, wofür die eigentlich in der Realität zuständig sind.
Was macht eine Mittelmeerkommissarin, außer "regelmäßig in die Krisenregion Naher Osten zu reisen", wie es der Kabinettchef lapidar erklärte? Was genau ist mit "Abwehrbereitschaft", "technische Souveränität", oder "Bildung und Skills" gemeint und was genau sollen diese Kommissare leisten?
Die entsprechenden Begleitschreiben, die zu jedem Kommissar und seinen Aufgaben mitgeliefert wurden, machen vor allem eines klar: Wenn es darauf ankommt, dann hat nur eine zu entscheiden, wer genau was zu tun hat: Von der Leyen selbst.
"Berichten direkt an die Präsidentin"
Kein Satz war bei der Präsentation, aber auch bei den Hintergrundgesprächen zur neuen Kommission so oft zu hören wie: "Berichtet direkt an die Kommissionspräsidentin". Von der Leyen hat nicht nur ihren Vizepräsidenten, sondern auch den wichtigsten Kommissaren quasi direkte Leitungen zu ihrem Büro gelegt.
Wenn es also um zentrale Fragen geht - und das werden in den nächsten fünf Jahren vor allem wirtschaftliche sein, hat sie sich nicht nur das letzte Wort gesichert, sie steuert jeden Prozess von Anfang an mit. Sie hat, wie es Andreas Schieder zusammenfasst, "die neue Kommission an die Leine gelegt - und die ist ziemlich kurz."
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