US-Küstenwache geht vom Tod der "Titan"-Besatzung aus

US-Küstenwache geht vom Tod der "Titan"-Besatzung aus
Verschwundenes Mini-U-Boot mit offenkundigen Mängeln. Hoffnung auf Überlebende gleich Null.

„Wenn nicht noch ein Wunder geschieht”…. Mit dieser Einschränkung begannen am fünften Tag der Unglücksfahrt des Touristen-Tauchboots „Titan” zu den Überresten des Ozean-Dampfers „Titanic” viele Experten-Einschätzung im US-Frühstücksfernsehen. Am Nachmittag war klar: Das Wunder ist ausgeblieben

Oceangate, die bei Seattle ansässige Betreiber-Firma der Expedition, erklärte in einer offiziellen Stellungnahme, dass die fünfköpfige Besatzung  - neben Pilot Paul-Henri Nargeolet (77), Oceangate-Chef Stockton Rush (61), der Brite Hamish Harding (58), der britisch-pakistanische Unternehmer Shahzada Dawood (48) und dessen Sohn Suleman (19) - das Abenteuer nicht überlebt hat. Oceangate nannte die Fünf “wahre Entdecker” mit einer “großen Leidenschaft für das Erforschen und Beschützen der Ozeane”. Nähere Informationen zum Hergang des Unglücks? Fehlanzeige. 

Implosion sehr wahrscheinlich

Sie kamen um 21 Uhr MESZ von Konteradmiral John Mauger, Chef der US-Küstenwache in Boston. Danach hat ein kanadisches Bergungs-Fahrzeug in unmittelbarer Nähe des in 3800 Meter Tiefe im Nord-Atlantik liegenden Wracks mehrere “Trümmerfelder” entdeckt. 

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Dabei handelte es sich unter anderem um den Lande-Rahmen und die Rückabdeckung sowie weitere Details der seit Sonntagmorgen spurlos verschwundenen Tauchkapsel. Mauger: "Die Trümmer-Teile, die in 500 Meter Entfernung zur Titanic gefunden worden, gehen eindeutig auf die katastrophale Zerstörung der Druck-Kammer zurück. Wir haben unmittelbar die Familien der Opfer informiert.”

Das Beschriebene deutet auf eine verheerende Implosion hin, ausgelöst durch Undichtigkeiten in der aus Kohlefaser und Titan bestehenden Außenhülle und den enormen Wasserdruck in großer Tiefe. Sie könnte sich bereits am vergangenen Sonntag ereignet haben, rund zwei Stunden nach dem Wassergang des Mini-U-Bootes, das kurz danach den Kontakt zum Mutterschiff Polar Prince verloren hatte.

Konteradmiral Mauger bestätigte damit Informationen, die der britische Tauch-Experte David Mearns etwa eine Stunde zuvor während einer Live-Sendung im britischen Fernsehen öffentlich gemacht hatte.

Bis zur dieser Hiobsbotschaft war befürchtet worden, dass an Bord der knapp sieben Meter langen Tauch-Röhre im Laufe des Donnerstags der laut Betreiber-Firma Oceangate auf 96 Stunden limitierte Sauerstoff ausgehen würde. Winzige Hoffnungen, dass an Bord des kaum mehr Platz als eine quer liegende Aufzugskabine Platz bietenden Mini-U-Bootes vielleicht doch noch länger Luft zum Atmen geblieben sein könnte, ruhten bis dahin noch auf Paul-Henri Nargeolet. 

 

9 Stunden zusätzlich

Der 77-jährige Franzose hat 35 Tauch-Trips zur „Titanic“ absolviert. Würde es ihm als Piloten gelingen, die anderen vier Expeditionsteilnehmer zum Ruhig-Liegen und verlangsamter Atmung zu bewegen, so der Mediziner David Cornfield, könnten vielleicht zusätzlich „bis zu neun Stunden“ Überlebenszeit herausgeholt werden. Diese Hoffnungen haben sich mittlerweile aufgelöst.

Lungen-Fachärzte beschreiben in US-Medien einen „schleichenden, qualvollen Tod“, wenn der durch Ausatmen entstehende Kohlendioxid-Anteil in der engen Kabine zunimmt und von den Filtern im U-Boot nicht mehr bewältigt werden kann. Übelkeit, Erbrechen, Verwirrtheit, Apathie seien die wahrscheinlichsten Begleiterscheinungen – bis zur Bewusstlosigkeit.

Arthur Loibl, Unternehmer aus Straubing und 2021 selbst Teilnehmer einer pro Kopf 250.000 Dollar kostenden „Titanic“-Expedition mit Oceangate gewesen, zeigte sich im Gespräch mit dem KURIER niedergeschlagen: „Ich rechne mit dem Schlimmsten. Da unten hat es vier Grad Kälte. Die können kaum Sauerstoff sparen. Ich befürchte, es ist vorbei.“ Loibl wünscht der Crew „von Herzen“, dass er falsch liegt.

Aber auch dann stünden die Chancen, die Besatzung rechtzeitig lebend zu bergen, schlecht, sagt der Tiefsee-Experte David Gallo. Vorausgesetzt, die „Titan“ könne lokalisiert werden, vergingen etliche Stunden, bis die von innen nicht zu öffnende, knapp neun Tonnen schwere Tauch-Kapsel aus bis zu 3.800 Meter Tiefe an die Wasseroberfläche gelangen könnte. Dazu hat die amerikanische Marine vorsorglich das „Flyaway Deep Ocean Salvage“-System bereitgestellt. Damit können Lasten bis zu 27 Tonnen geborgen werden. Zwei weitere Bergungs-Roboter stehen bereit.

Aber: Das U-Boot blieb verschwunden. Klopfgeräusche, wie sie im vermuteten Unglücksgebiet 650 Kilometer vor der Küste Neufundlands ausgemacht wurden, konnten bisher nicht klar zugeordnet werden.

Jamie Frederick, Chef der von Frankreich und Kanada mit Spezialbooten- und Flugzeugen unterstützten Rettungsmission bei der US-Küstenwache, hatte die Möglichkeit des Scheiterns bereits angedeutet: „Manchmal finden wird nicht, wonach wir suchen“. Neben Pilot Paul Henry Nargeolet sind Oceangate-Chef Stockton Rush (61), der Brite Hamish Harding (58), der britisch-pakistanische Unternehmer Shahzada Dawood (48) und dessen Sohn Suleman (19) an Bord der Tauch-Kapsel.

Grobe Fahrlässigkeit

Die nahe Seattle ansässige Betreiber-Firma Oceangate gerät unterdessen immer stärker in den Verdacht, bei der Konstruktion der „Titan“, die am Sonntag knapp zwei Stunden nach dem Wassergang den Kontakt zum Mutterschiff „Polar Prince“ verloren hatte, fahrlässig experimentiert und mutwillig Sicherheitsstandards ignoriert zu haben.

So war das Tauchboot nirgends von staatlicher Seite zertifiziert. Wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, hatte Oceangates damaliger Direktor, David Lochridge, bereits vor fünf Jahren massive Bedenken geäußert. So sei das einzige Sichtfenster des Tauchboots nur für einen Druck von 1.300 Metern Tiefe gebaut worden, obwohl Oceangate die in 3800 Meter Tiefe liegende „Titanic“ als Ziel ausgegeben hatte.

Lochridge wurde von CEO Stockton Rush gefeuert. Dessen Frau, Wendy Rush, ist die Ur-Ur-Enkelin von Ida und Isidor Straus. Das Ehepaar gehörte 1912 zu den über 1.500 Passagieren, die mit der auf einen Eisberg geprallten „Titanic“ untergegangen waren.

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