U-Boot-Pilot: "Die Faszination der Menschen für die Tiefe ist riesig"

Ein Tauchboot, das fünf Menschen – im Rahmen einer Entdeckungsreise – zu den Trümmern der Titanic hätte bringen sollen, wurde am Montag als vermisst gemeldet. Das US-Unternehmen OceanGate bietet abenteuerlustigen Personen für viel Geld Tiefsee-Expeditionen an. In der Schweiz macht das die Firma Subspirit möglich. Mit einem 5,5 Meter langem U-Boot bringt der CEO und U-Boot-Pilot, Philippe Epelbaum, seine Gäste unter Wasser. Er weiß, worauf man sich bei so einer Reise einlässt.
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Bis zu 4.000 Meter in einem U-Boot in die Tiefe tauchen und dafür 250.000 Dollar bezahlen. Wieso macht man so etwas?
Philippe Epelbaum: Das ist wahrscheinlich so unterschiedlich, wie wir Menschen unterschiedlich sind. Jeder wird seine Gründe haben, warum er dieses Abenteuer erleben möchte. Die Faszination bei den Menschen für die Tiefe ist riesig.
Ist es nicht unvernünftig, sich aus reiner Abenteuerlust in so ein doch risikobehaftetes Gebiet wie die Tiefsee zu begeben, während das normalerweise der Wissenschaft oder dem Militär vorbehalten ist?
Das ist so nicht unbedingt der Fall, denn es gibt zwar mehr Flieger, die sich auf 11.000 Meter in der Höhe bewegen als U-Boote, die auf 4.000 Meter Tiefe tauchen, aber wenn das Gefährt richtig gebaut ist, nach den Vorgaben und Auflagen, dann ist es nicht unbedingt risikobehaftet.
Die Forscher von OceanGate Expeditions, die die Mission zu den Trümmern der Titanic anbieten, haben erst 2021 mit diesen Expeditionen begonnen. Reicht das an Erfahrung?
Erfahrung hatten sie schon im Vorfeld, davon bin ich überzeugt. Keiner baut einfach ein U-Boot und geht sofort auf 4.000 Meter. Das ist ein Prozess von Fachleuten. Ich bin überzeugt davon, dass die Leute professionell vorgegangen sind und sich Schritt für Schritt rangetastet haben, bis sie sich in die Tiefe gewagt haben.
Angenommen man steigt in so ein U-Boot, wie läuft dieser Vorgang konkret ab?
Bei uns läuft es so ab: Wir begrüßen unsere Gäste, geben ihnen Informationen über die Funktionsweise eines U-Bootes, damit nachvollziehbar ist, wie das funktioniert. Danach werden die Gäste gewogen, weil wir mit dem U-Boot eine neutrale Trimmung herstellen müssen. So, dass das U-Boot im Wasser schwebt. Das ist vergleichbar mit einem Bleigurt, den sich jeder Taucher um die Hüfte schnallt. Dann arbeiten wir noch eine Checkliste ab, um unmittelbar vor dem Abtauchen alles in Position zu bringen – und dann geht der Tauchgang los.
Im Fall des jetzt verschwundenen "Titan"-U-Bootes auf 4.000 Meter. Wie lange dauert das?
Mit unserem U-Boot können wir etwa 30 Meter pro Minute abtauchen und in etwa mit der gleichen Geschwindigkeit auch wieder auftauchen.
Was sind die Risiken so tief unter Wasser?
Die größte Herausforderung ist sicher, dem Druck unter Wasser standzuhalten.
Ein ehemaliger Teilnehmer dieser Mission hat sich gegenüber der BBC geäußert. Er spricht von einer Verzichtserklärung, die man im Vorfeld unterschreiben musste, in der auch von einem möglichen Tod die Rede ist. Ist das üblich?
Nein, bei uns gibt es das nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass das von Land zu Land verschieden ist. In den USA ist so etwas bestimmt üblicher.
Aber muss man tatsächlich mit dem Tod rechnen, wenn man sich auf so eine Expedition begibt?
Absolut nicht, nein. Und ich denke, wenn das so wäre, würde auch niemand einsteigen.
Werden mit den Teilnehmern psychische oder physische Tests gemacht, bevor es in die Tiefe geht?
Nein. Sie sind ja als Gast keinerlei physischen Einflüssen ausgesetzt. Sie können einfach einsteigen und genießen. Wenn man sich damit auseinandergesetzt hat, weiß man ungefähr, was wie abgeht.
Das heißt es gibt an Bord keine Ärzte oder Ärztinnen bzw. psychologische Betreuung?
Nein, wenn man merkt, dass sich jemand unwohl fühlt, kann man versuchen die Personen zu entspannen – indem man mit ihr redet und ihr Informationen darüber gibt, wie ein U-Boot funktioniert. Wir bei Sub Spirit haben die Erfahrung gemacht, dass von diesen mehreren 100 Gästen, die wir bereits in die Tiefe gebracht haben, lediglich zwei Personen aus Platzangstgründen wieder ausgestiegen sind. Aber das ist sofort passiert, als das Boot noch an der Oberfläche war. Ansonsten ist noch nie etwas passiert.

Das letzte Bild des Unglücksbootes: Der Start der jüngsten Titanic-Expedition am Morgen des 18 Juni
Sie sind ein erfahrener U-Boot-Pilot. Wie genau kann man sich so einen Tauchgang in der Tiefe vorstellen – wie sind die Voraussetzungen unter Wasser?
Es ist stockdunkel, man benötigt also auf jeden Fall entsprechende Scheinwerfer. In den Süßwassern sind die Wracks von Schiffen meistens sehr gut erhalten, weil sie wie vakuumiert sind. Es kommt kein Sauerstoff hinzu. Insofern ist es eine sehr spannende Angelegenheit, so ein Wrack unter Wasser zu besichtigen.
Weil Sie die Dunkelheit angesprochen haben, wie navigiert man so ein U-Boot unter Wasser bzw. woran orientiert man sich?
Wir haben verschiedene Radar-Sonar-Systeme, um unter Wasser zu navigieren. Wir haben aber auch einen Kompass, ein ganz einfacher Kompass, mit dem man navigieren kann. Damit kann man relativ punktgenau über der gewünschten Stelle senkrecht in die Tiefe gehen.
Der Sauerstoff des Titan-U-Boots reicht für 96 Stunden. Was passiert danach?
Je nachdem, wie das U-Boot bestückt ist, hat man vielleicht noch die ein oder andere Möglichkeit das Ganze hinauszuzögern. Aber auf jeden Fall ist es dann sehr ungemütlich und man muss davon ausgehen, dass das dann auch das Ende ist.
Was heißt das konkret?
Man erstickt.
Der Kommandant der US-Küstenwache, John Mauger, versprach man werde alle verfügbaren Mittel einsetzen, um das Schiff zu lokalisieren und die Menschen an Bord zu retten. Hand aufs Herz: Wie realistisch ist das?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne die Verhältnisse nicht. Ich bin nicht vor Ort, habe keinerlei Informationen.
Gibt es die Möglichkeit das U-Boot so tief unter Wasser zu orten?
Grundsätzlich senden U-Boote Signale, sogenannte Beacons, aus, über die werden sie geortet. Das funktioniert mit Schall. Wie die Reichweite ist, das hängt vom jeweiligen Boot ab.
Größtes Passagierschiff seiner Zeit
Als der Dampfer am 2. April 1912 in Dienst gestellt wurde, war er das größte Passagierschiff der damaligen Zeit. Die maximale Passagierzahl in den drei Klassen betrug 2.400. Die Besatzung umfasste fast 900 Männer und Frauen
Die Katastrophe
Gleich bei der Jungfernfahrt sank der Koloss nach einer Kollision mit einem Eisberg im Nordatlantik in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912. 1.514 der mehr als 2.200 Menschen, die sich an Bord befanden, starben. Hauptursachen der Katastrophe: Zu wenig Rettungsboote und die Unerfahrenheit der Besatzung
Film als Kassenschlager
In unterschiedlichen Kunstsparten wurde die Katastrophe thematisiert. Am bekanntesten ist wohl der 1997 entstandene Hollywood-Streifen „Titanic“ mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen
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