Was Putins Atom-Drohung wirklich bedeutet
Wladimir Putin hat es tatsächlich getan. Er hat am Sonntag die letzte Trumpfkarte in Richtung Westen gezogen – und erstmals offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Bisher kam diese Drohung immer nun implizit, jetzt wies er seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu öffentlich an, die Abschreckungswaffen in einen Status der besonderen Alarmbereitschaft zu versetzen.
Das klingt banal, umfasst aber auch die Nuklearwaffen Russlands. Und das sind sehr, sehr viele: Moskau besitzt fast die Hälfte der Atomwaffen weltweit. Von rund 4.500 Sprengköpfen sind 1.588 einsatzbereit, knapp 3.000 hat man in Reserve. Sie sind zwar teils alt, stammen aus der wechselseitigen nuklearen Abschreckung mit den USA, wurden teils aber auch erst kürzlich modernisiert.
Ganz gemäß dem "Playbook"
Nur: Kann Wladimir Putin diese Waffen jetzt einfach so Richtung Ukraine – oder gar Richtung Westen – fliegen lassen?
So simpel ist es nicht. Experten sind sich zum einen einig, dass der Schritt Putins klassisch dem "Playbook" des Kreml zur Eskalation einer Kriegssituation folgt, wie auch der Militärexperte Gustav Gressel in der Zeit im Bild sagte. Bruno Tertrais, Nuklearexperte des Pariser Think Tanks Foundation for Strategic Research, sagte dem Economist, Putin würde einen Atomwaffenangriff wohl zuvor nicht ankündigen – es gehe ihm darum, den Westen von weiteren Sanktionen und Militärhilfen abzuhalten.
Und auch formal ist es für Putin nicht so einfach.
Maßgeblich für Russland ist die Nukleardoktrin des Kreml. Diese sieht vor, dass Russland Atomwaffen dann einsetzen kann, wenn es einer existenziellen Bedrohung seiner territorialen Integrität oder Souveränität ausgesetzt ist - auch in einem konventionellen Konflikt und als erste Kriegspartei. Allerdings hat Putin dies 2020 eingeschränkt: Russland müsste zuerst angegriffen werden, um selbst Atomwaffen einzusetzen.
Freilich, auch im Falle der Ukraine behauptet der Kreml, dass er keinen Angriffskrieg führe, sondern sich gegen Angriffe aus dem Nachbarland wehren würde. Dennoch wäre eine Atom-Eskalation nicht so einfach, ist sich auch der UN-Atomwaffenforscher Pavel Podvig sicher. Putin habe derzeit nämlich lediglich das Atomwaffensystem aktiviert – also quasi die Drähte, die in Friedenszeiten voneinander getrennt sind, um Unfälle zu verhindern, miteinander verbunden.
"Kein Erstschlag"
Was das genau heißt? Das System könnte nun etwa eine Atomrakete abfeuern, wenn zuerst eine Nuklearrakete auf russischem Boden eingeschlagen wäre. Allerdings handelt es sich dabei um ein System, das eigenständig agiert - und das laut Protokoll nicht einmal mehr Putins Zustimmung bedürfe. Einen Erstschlag inkludiert das aber nicht: "Es weist nicht darauf hin, dass Russland sich darauf vorbereitet, einen Erstschlag durchzuführen", schreibt Podvig.
Daneben könnten allerdings andere, sichtbarere Vorkehrungen getroffen werden. Der Kreml könnte etwa Atom-U-Boote in Gefechtsbereitschaft versetzen oder Nuklearwaffen auf Bomber verladen - so, dass der Westen das auch sehen kann.
Für die USA und Europa heißt das nun, dass Putin zwar den nächsten Schritt im Eskalationsszenario gegangen ist - aber definitiv nicht den ultimativen.
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