Schwer umkämpfte Dörfer, Hunderte wenn nicht Tausende tote Soldaten auf beiden Seiten – und etwas mehr als 130 Quadratkilometer (Wien hat eine Fläche von 414,6 Quadratkilometern) befreites Gebiet. Die ukrainische Gegenoffensive, die vor mehr als zwei Wochen begann, wurde – unter anderem wegen einer Informationssperre Kiews – vor allem durch Videos und Fotos zerstörter Leopard-Kampf- und Minenräumpanzer dominiert.
Fakt ist: Die ukrainischen Streitkräfte konnten an der Südfront bis dato nicht bis zu ersten russischen Hauptverteidigungslinie durchbrechen, lediglich Gefechtsvorposten einnehmen, fünf bis sechs Kilometer in die Tiefe vorrücken. Die strategisch wichtige Stadt Melitopol – wahrscheinlich eines der Hauptziele Kiews – ist 80 Kilometer entfernt.
Seit Montag legen die ukrainischen Streitkräfte im Sektor der Südfront eine „operative Pause“ ein, dürften ihre geplante Vorgehensweise überarbeiten: „Für die Ukraine wie für viele Beobachter war die sehr synchronisierte Gegenwehr der Russen überraschend – und das in verschiedensten Bereichen. Auch dort, wo man ihnen das gar nicht mehr zugetraut hätte“, sagt Oberst Markus Reisner vom Österreichischen Bundesheer zum KURIER und führt als Beispiel die russische Luftwaffe ins Feld.
Vor allem deren Helikopter, etwa die Ka-52, haben mit ihren Panzerabwehrraketen „9K121 Vikhr“ (Reichweite von acht Kilometern) bereits einige ukrainische Panzer zerstört. Reisner: „Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass es nichts bringt, die Russen zu unterschätzen. Aus meiner Sicht schadet es vor allem den Ukrainern, als dass es ihnen hilft.“
Offensive noch nicht gescheitert
Als gescheitert sieht Gardekommandant Reisner die ukrainische Offensive noch nicht an: „Da wäre ich eher vorsichtig. Die Militärgeschichte ist voller Beispiele, dass es gerade am Beginn einer Offensive zu einem Hin und Her kommt und man dann erst in der Nachschau sagen kann, wo die Offensive warum er erfolgreich war – oder auch nicht“, sagt er. Die Ukraine habe bisher ein Drittel ihrer Kräfte eingesetzt, die sie in den vergangenen Monaten aufgestellt hatte und würde ebenso wie die Russen versuchen, aus den Erfahrungen der vergangenen zwei Wochen zu lernen.
„An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der Erfolgsdruck und die Erwartungshaltung ja gerade auch von den Medien im Westen ausgelöst wird und wir nicht vergessen sollten, dass die militärischen Kommandanten gefordert sind, sehr genau zu planen“, gibt Reisner zu bedenken. Und zu planen gibt es für die ukrainischen Kommandanten viel: Vor allem der Mangel an Luftfahrzeugen ist ein Nachteil der ukrainischen Streitkräfte – ebenso scheint die Luftabwehr für die Offensive nicht auszureichen.
„Im Prinzip geht es immer um das Herstellen einer Asymmetrie. Beide Konfliktparteien stehen sich gegenüber und haben Fähigkeiten, die dazu dienen, die Fähigkeiten des anderen zu neutralisieren“, sagt Reisner. „Den Nachteil in puncto Luftfahrzeugen könnten die Ukrainer etwa versuchen auszugleichen, indem sie russische Flugplätze mit weitreichenden Waffen – etwa mit den Storm Shadows - beschießen.“
Reisner geht davon aus, dass die ukrainischen Streitkräfte genau das tun werden. In den vergangenen Tagen gelang es den ukrainischen Streitkräften etwa, ein russisches Munitionsdepot mehr als hundert Kilometer abseits der Front zu zerstören.
Indes gehen die Gefechte im Nordosten und Osten der 1.000 Kilometer langen Front mit voller Härte weiter: Während die ukrainischen Streitkräfte versuchen, in Richtung der Stadt Soledar bei Bachmut vorzustoßen, unternehmen die russischen Streitkräfte Angriffe gegen die Stadt Kupjansk.
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