Ukraine auf dem Weg in die EU? Warum der Beitritt noch sehr lange nicht kommt
Es war ein feierlicher Formalakt, bei dem vor allem Fotos geschossen und Hände geschüttelt wurden. Am Rande eines Treffens der Europaminister in Luxemburg - Karoline Edtstadler war nicht dabei - gab es die ersten sogenannten "Beitrittskonferenzen" mit der Ukraine und Moldau. Verhandelt wurde dabei noch nicht, es wurde nur ein Fahrplan für den Ablauf der Beitrittsgespräche vereinbart.
Wann und wie es konkret losgeht, wird erst in den kommenden Wochen entschieden. Fest steht aber: Die Ukraine ist auf dem Weg in die EU - wann aber wird sie dort ankommen, oder bleibt das ein Weg ohne Ziel, wie etwa bei der Türkei? Die Herausforderung ist jedenfalls riesig, für die EU und für die Ukraine. Was sind die schwierigsten Hürden - und wie könnten sie überwunden werden?
Der KURIER gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wer macht sich stark für einen Beitritt, wer legt sich quer?
Am meisten drängt natürlich die Ukraine auf einen raschen Beitritt. Präsident Selenskij betont ständig, dass eine klare Beitrittsperspektive die beste Motivation für seine kriegsmüden Landsleute wäre: "Motivation ist eine Waffe, aber sie muss geladen werden." Innerhalb der EU-Staaten sind es vor allem die Balten, aber auch Polen und andere osteuropäische Staaten, die auf einen raschen Fortschritt der Beitrittsgespräche drängen.
Die West- und Südeuropäer wie Frankreich, Spanien, oder Italien sind skeptisch. Ungarn ist - wie so oft - kategorisch dagegen, auch die neue slowakische Regierung zeigt sich eher ablehnend. Deutschland und Österreich verhalten sich abwartend und zurückhaltend.
Gibt es schon eine Vorstellung, wann der Beitritt stattfinden könnte?
Der einzige hochrangige EU-Vertreter, der schon ein konkretes Beitrittsdatum genannt hat, ist EU-Ratspräsident Charles Michel. Er sprach von 2030. Der Belgier ist aber erstens für seine oft vorschnellen Bemerkungen bekannt und musste zweitens danach sehr rasch zurückrudern.
Ansonsten vermeiden Europas Entscheidungsträger da jede Festlegung. Und das mit Grund: Experten erwarten weit längere Verhandlungen, möglicherweise über mehr als zehn Jahre. So sagte etwa der Chef des außenpolitischen Ausschusses des EU-Parlamentes, David McAllister, zum jetzigen Zeitpunkt könne es keine verbindliche Beitrittszusage gekoppelt mit einem Beitrittsdatum geben.
Kann ein Land, das sich im Krieg befindet, überhaupt beitreten?
Für die EU ist das politisches Neuland und würde sie vor grundsätzliche Probleme stellen: Etwa bei der in den EU-Verträgen verankerten militärischen Beistandspflicht. Die ist zwar nicht so stark formuliert wie im Fall der NATO und nimmt neutrale Länder wie Österreich ausdrücklich aus, aber trotzdem würde sie bei einem Land, das sich im Krieg befindet, schlagend werden.
Ein Beitritt der Ukraine , aber auch des kleinen Moldau, hängt also von einem Friedensvertrag zwischen Kiew und Moskau ab, der auch die künftigen Grenzen der Ukraine klar - und auch von Russland anerkannt - definiert. Zwar hat die EU mit Zypern ebenfalls ein Land mit umstrittenen Grenzen aufgenommen, aber die Insel ist im Vergleich vernachlässigbar klein.
Was ist die größte wirtschaftliche Hürde?
Aus heutiger Sicht die Landwirtschaft. Die Ukraine ist ein Agrarriese, etwa Weltmarktführer bei Sonnenblumenöl, aber auch bei Weizen oder Mais unter den zehn größten Exporteuren der Welt. Vergleichbar ist innerhalb der EU nur Frankreichs Landwirtschaft. Schon jetzt wurden die Agrarexporte aus der Ukraine für die EU zum Problem, man musste nach einer kurzen Phase des freien Handels wieder Obergrenzen einführen.
Die riesige Landwirtschaft der Ukraine würde eine grundlegende Reform der EU-Agrarförderungen notwendig machen. Experten kalkulieren, dass ohne Änderungen in sieben Jahren 186 Milliarden Euro an EU-Förderungen in die Ukraine fließen würden.
Zeigt sich die Ukraine bereit zu Reformen?
Die Ukraine arbeitet seit Jahren an einer Reform ihres politischen Systems und ihrer Justiz. Diese sind erstens noch durch das Erbe der Sowjetunion geprägt und zweitens durch die wirtschaftliche und politische Allmacht der Oligarchen unterwandert. Sichtbarstes Zeichen ist die Korruption, die traditionell in allen Bereichen des Staates, aber auch im Alltag der Menschen präsent. Die Regierung hat zwar zahlreiche Maßnahmen- und Gesetzespakete gegen die Korruption erlassen, die sind aber in der Praxis nur sehr teilweise umgesetzt. Immer noch machen riesige Korruptionsaffären Schlagzeilen, wie etwa rund um überteuerte Waffen- und Lebensmittellieferungen für die Truppen an der Front.
Muss sich auch die EU reformieren?
Der Beitritt eines armen und obendrein von einem Krieg zerstörten Landes von der Größe der Ukraine (der flächengrößte Staat Europas mit 38 Millionen Einwohnern) würde das EU-Budget in der derzeitigen Form überfordern. Gerade die Mittel aus den Strukturfonds, die ja vorrangig schlecht entwickelten Regionen in der EU zugute kommen, müssten grundsätzlich neu organisiert werden. Viele derzeitige EU-Mitglieder müssten dann wohl mit weniger EU-Geld auskommen. Das Gleiche gilt für die Agrarförderung.
Die andere Möglichkeit wäre, das EU-Budget drastisch zu erhöhen, was aber bei der derzeitigen politischen Lage und den ohnehin angespannten Budgets in Europa nicht zu erwarten ist. Grundlegend reformiert müssten auch die Regeln für Entscheidungen in der EU werden. Eine Union mit mehr als 30 Mitgliedern könnte ein Vetorecht, mit dem ein Land im Alleingang gerade Entscheidungen in Fragen des Budgets sowie der Außen- und Sicherheitspolitik blockieren kann, nicht mehr verkraften. Da sind sich die meisten Experten in Brüssel einig.
Gibt es eine Alternative zum Beitritt?
Offiziell nicht, da das auch bei den derzeitigen Beitrittskandidaten - also den Staaten des Westbalkan, die allesamt seit Jahren auf der langen Bank ausharren - für noch mehr Frustration sorgen würde. Österreich aber hat mit seinem Vorschlag eines stufenweisen Beitritts zumindest einen anderen Kurs in Richtung EU ins Spiel gebracht.
Die Ukraine, aber auch die anderen Kandidaten, könnte durch das Abarbeiten einzelner Kapitel des Beitrittsprozesses gleich Zugang zu EU-Institutionen und Gremien bekommen, die sich auch im Leben ihrer Bürger bemerkbar machen würden. Etwa die Teilnahme an Bildungsprogrammen wie Erasmus, Kulturförderungen, oder auch Umweltschutzmaßnahmen. Dazu könnten ihre politischen Vertreter in Ausschüssen in den EU-Institutionen mit am Tisch sitzen.
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