Ukraine-EU-Beitritt: EU-Abgeordnete sehen große Herausforderungen

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Eine Mehrheit der österreichischen Delegationsleiter im EU-Parlament begrüßt die Beitrittsperspektive der Ukraine, sieht jedoch große Herausforderungen.

Diese Woche entscheiden die EU-Regierungschefs über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine. Ein EU-Beitritt der Ukraine wäre mit großen Herausforderungen verbunden. 

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Trotzdem begrüßt die Mehrheit der österreichischen Delegationsleiter im EU-Parlament die Beitrittsperspektive für das Land - wenn auch in verschiedenen Abstufungen. Einen Beitritt noch während des Krieges, kann sich aber keiner vorstellen, geht aus den Antworten auf einen Fragebogen der APA hervor.

Unklar, ob die EU-Staaten konkreten Beitrittsverhandlungen der Ukraine grünes Licht geben

"Wir haben den EU-Erweiterungsprozess immer auch als geopolitisches Instrument verstanden" und deshalb habe man auch die Verleihung des Kandidatenstatus für die Ukraine begrüßt, sagt ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig. Ob die EU-Staaten im Dezember grünes Licht für konkrete Beitrittsverhandlungen geben sollen, sagt sie nicht klar. 

Aber: "Es gibt kein Fast-Track-Verfahren für einzelne Kandidatenländer und keine Überholspur im Beitrittsprozess." Gerade mit Blick auf die Westbalkanstaaten dürfe es keine Ungleichbehandlung geben.

In welchen Bereichen die Ukraine noch Fortschritte machen  muss

Im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung müsse die Ukraine jedenfalls noch Fortschritte machen. Mit der Ukraine würde ein großer Agrarproduzent der EU beitreten. Deshalb müssten vor einem Beitritt "wichtige Teile der EU-Politik, wie beispielsweise die gemeinsame Agrarpolitik oder die Kohäsionspolitik der EU, entsprechend angepasst werden", so Winzig. Einen Beitritt, noch während das Land sich im Krieg befindet, lehnt sie klar ab.

Mit "Ja, aber!" beantwortet SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder die Frage nach einem Beginn der Beitrittsgespräche. "Für einen EU-Beitritt gelten klare Kriterien in Bezug auf Demokratisierung, wirtschaftliche Liberalisierung und das rechtsstaatliche Gefüge." Auch Schieder will keine Abkürzungen im Vergleich zu den Westbalkanstaaten. "Ernsthafte Verhandlungen" über einen Beitritt könne es auch erst nach dem Krieg geben.

EU muss für SPÖ-Delegationsleiter "erweiterungsfit" werden

Große Herausforderungen auf dem Weg der Ukraine in die EU sieht der Sozialdemokrat im "Einfluss einzelner Unternehmer und Industrieller auf die Politik", aber auch auf die Justiz. "Gleichzeitig wäre der EU-Binnenmarkt aktuell nicht in der Lage, das Volumen der ukrainischen Agrarproduktion zu stemmen", so Schieder. 

Die EU müsse demnach auch "erweiterungsfit" werden - sprich "finanziell unabhängiger von den nationalen Beiträgen der Mitgliedstaaten, demokratischer durch ein Initiativrecht sowie Vorschlagsrecht für die Spitze der EU-Kommission für das EU-Parlament und handlungsfähiger, indem wir die qualifizierte Mehrheitsentscheidung zum Standardprocedere in allen Politikbereichen machen".

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Von der FPÖ kam keine direkte Rückmeldung auf den Fragebogen der APA. Die Freiheitlichen haben sich in der Vergangenheit aber immer sehr kritisch mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine gezeigt. 

Der logische nächste Schritt für Monika Vana

"Ein EU-Beitritt der Ukraine, wie er jetzt vonseiten Brüssel auf Biegen und Brechen forciert wird, ist aus vielen Gründen abzulehnen. Einer davon sind die massiven Auswirkungen, die dieser auf das EU-Budget hätte", sagte FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky unter anderem laut einer Aussendung vom Oktober.

Für die Grünen-Delegationsleiterin Monika Vana ist die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen der logische nächste Schritt. "Dass dieser Prozess komplex ist, mitunter lange dauert und viele Zwischenschritte erfordert, zeigen die langjährigen Verhandlungen mit den Westbalkanländern", so die EU-Abgeordnete. Ein Abschluss dieses Prozesses noch während des Krieges sei "sehr unwahrscheinlich (...) Ein Land im Kriegszustand oder illegal annektierte Gebiete in die EU aufzunehmen, wäre ein Risiko."

Die EU müsste sich gut auf einen möglichen Beitritt vorbereiten - gerade mit Blick auf die Agrarpolitik befürwortet Vana eine "Abkehr von der reinen Vergabe der Gelder nach Fläche" und eine "Förderung ökologisch und sozial nachhaltiger Methoden". Gleichzeitig sei der Beitrittsprozess eine "Chance, dass ukrainische Betriebe ihre Umwelt-, Sozial- und Tierwohlstandards erhöhen".

Die größte Herausforderung für die Ukraine für einen Beitritt

Ein klares "Ja" für einen Beginn der Beitrittsgespräche kommt von der EU-Abgeordneten der NEOS, Claudia Gamon. "Das Land hat trotz seiner schwierigen Situation enorme Fortschritte gemacht: 2022 bekam die Ukraine eine Liste mit sieben umfangreichen Reformprojekten, die innerhalb von zehn Jahren vollzogen sein müssen. 

Die Ukraine hat inzwischen über 90 Prozent dieser Aufgaben erfüllt", schreibt sie in ihrer Antwort. Konkrete Verhandlungen könnten aber realistisch erst nach einem Kriegsende starten.

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Als große Herausforderung für die Ukraine für einen Beitritt sieht Gamon den Bevölkerungsverlust in dem Land aufgrund des Krieges. "Die Ukraine dürfte sich demografisch nur sehr langfristig von den Folgen des Krieges erholen. Die fehlenden Arbeitskräfte können ein Problem für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung werden." 

Die Handelsbeziehungen würden einer der wichtigsten "Blöcke" bei möglichen Gesprächen werden. Dies biete aber auch die Chance, "Reformen im Bereich der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik voranzutreiben".

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