Überraschender Zug: Johnson will die Bahn verstaatlichen
Die britischen Tories legen eine überraschende Kehrtwende im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel ein: Bereits am Mittwoch dürfte die konservative Regierung einen Teil des britischen Bahnnetzes verstaatlichen, nämlich den, der dem größten privaten Anbieter von Zugsverbindungen und Schienennetzen gehört.
„Inakzeptable Services“
Die Betreiberfirma Arriva Rail North (Northern), die zur Deutschen Bahn gehört, biete „vollkommen inakzeptable Services“, sagte der britische Verkehrsminister, Grant Shapps.2016 hatte Northern den Betrieb von der maroden „Northern Rail“ übernommen und damit ein weitläufiges Schienennetz in Nordengland. Jedoch zog das Unternehmen vor allem durch häufige Zugausfälle, Verspätungen, teure Tickets und schlechte Fahrpläne Aufmerksamkeit auf sich – vor allem die der Labour-Partei.
Jeremy Corbyn machte eine Wiederverstaatlichung des Zugverkehrs zu einem seiner Wahlkampfthemen. Kürzlich wurde bekannt, dass die Regierung im vergangenen Jahr mehr als 480 Millionen Euro Steuergeld in Northern investiert hatte – ohne spürbaren Erfolg.
Doch vor allem im Norden Englands – eine ehemalige Labour-Hochburg – stimmten die Menschen bei der vergangenen Unterhaus-Wahl mehrheitlich für Boris Johnson. Der macht nun die unter den Tories durchgesetzte Privatisierung der Bahnen rückgängig. Dem nicht genug will Johnson Bahnstrecken wiedereröffnen, die einer Bahnreform in den Sechzigerjahren zum Opfer gefallen sind.
Damals schloss Richard Beeching, Topverwalter des staatlichen britischen Eisenbahnwesens, fast 6.500 Kilometer des Schienennetzes. 590 Millionen Euro will Johnson in die alten Strecken investieren, eine der ersten Linien soll laut britischen Medienberichten die Strecke zwischen Ashington und Newcastle sein.
Belohnung für Wähler
In dieser Region errang Johnson, nachdem sie für 69 Jahre von Labour dominiert worden war, einen seiner bedeutendsten Wahlsiege. Es liegt auf der Hand, dass die Wähler durch die neuen Investitionen belohnt werden sollen.
Als „staatlich reglementierende Maßnahmen aus den 70ern“ hatten die Tories Labour im Wahlkampf noch verspottet, tatsächlich musste die konservative Regierung bereits 2018 eine Bahnlinie an der Ostküste verstaatlichen.
Dem nicht genug spricht Shapps mittlerweile davon, dasselbe auch bei der „South Western Railway“ vorzunehmen – dies könnte innerhalb weniger Monate passieren.
Insgesamt sollen 16 private Betreiber dafür sorgen, dass der Bahnverkehr funktioniert. Doch seit 2001 explodieren die Kosten fürs Bahnfahren. Vor der Privatisierung in den Neunzigerjahren – eine Herzensangelegenheit der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher – kostete die Bahn den Staat 2,6 Milliarden Euro. Bereits 2006 waren es 7,4 Milliarden, zuletzt 8,4.
Andere Zeiten
Thatcher selbst konnte die Privatisierung nicht mehr umsetzen, jedoch war sie daran maßgeblich beteiligt, dass sie ihr Nachfolger John Mayor 1994 vornahm. Damals herrschte in Wirtschaftskreisen – im Zuge der voranschreitenden Globalisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwung – die Meinung, dass Märkte in vieler Hinsicht besser und effizienter arbeiten, als der Staat. Abgesehen davon war die britische Bahn zu diesem Zeitpunkt teuer und ineffizient – was sich jedoch durch die Privatisierung nicht groß geändert hat.
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