"Slow Travelling": Die spektakulärsten Zug-Routen
"Trainspotter“ freuen sich, der „Greta-Effekt“ beschert der alten Tante Eisenbahn eine neue Nachfrage. Gut so. Denn lange schien es, als wären Züge der Konkurrenz durch Straße und Flugzeug nicht gewachsen. Dabei hat die Schiene unwiderlegbar ihre Vorteile. Etwa bei einer Fahrt von Wien nach München. Mit dem Auto entscheidet man sich notgedrungen auch für unverhofft auftretende Staus. Fliegen bringt meist lange An- und Abreisen zu den Flughäfen mit sich.
Mit einem Tempo von teilweise über 200 km/h ist man jedenfalls mit dem Zug nicht schlecht bedient. Und die Langstrecke? Die wird mittlerweile von der Generation Interrail neu entdeckt. Stichwort „Slow Travelling“.
500 Zugreisen
„Man kann von München bis Rom durchschlafen, weil die ÖBB mit ihren Nightjets auf einigen Strecken in die Bresche sprang“, lobte vor Kurzem die Leipziger Volkszeitung das heimische Unternehmen.
Ziele sind nur deshalb begehrenswert, weil die Reise dazwischen liegt
Ihr Ausspruch ist auch das Motto der Betreiber des Luxuszugs Majestic Imperator, der das „kaiserliche Reisen“ wieder en vogue macht. Die Renaissance dieser Reiseform ist dabei nicht nur dahergeredet. Alte Dampfloks werden restauriert und wieder in den Betrieb genommen.
Die FREIZEIT stellt die vier schönsten, spannendsten und abenteuerlichsten Strecken aus dem Buch vor.
Glacier-Express
"Willkommen an Bord des laut Betreiber langsamsten - vermutlich aber romantischsten - Schnellzugs der Welt." Eisenbahntechnisch kennt Sarah Baxter die meisten Strecken zwischen der Transsibirischen und der Kap-Kairo-Linie in Afrika. Am meisten beeindruckt aber zeigt sie sich von einer Bahnstrecke in unserem Nachbarland.
Der Glacier Express zuckelt in acht Stunden vom Bergdorf Zermatt ins mondäne St. Moritz. 290 Kilometer, die sich über 291 Brücken und durch 91 Tunnel schlängeln. Mehr noch: In Verbindung mit dem Bernina Express gibt es die einzigartige Möglichkeit einer Zugreise vom Gletscher bis zu den Palmen.
Der Hogwarts Express
Ein völlig anderes Kaliber ist der Jacobite Steam: Die "Harry Potter"-Fans bestens bekannte Dampfeisenbahn befährt das letzte Teilstück der West Highland Linie in Schottland. Und schwebt auch ohne Hexe an Bord über Moore hinweg.
Die 120 Jahre alte Sehenswürdigkeit ist genau jener Zug, der in London vom Gleis 9 3/4 des Bahnhof King’s Cross abfährt und die Zauberschüler im Internat Hogwarts abliefert. Die Lok, die tatsächlich in der Filmreihe zum Einsatz kam, kann bei einer Warner-Bros.-Studio-Tour in London besichtigt werden. Der Jacobite Steam Train mit seinen sieben scharlachroten Waggons ist das Vorbild dafür.
Reisen wie früher
Vom Frühjahr bis in den Herbst hinein fährt der Zug entlang der rund 60 hügeligen Kilometer von Fort William nach Mallaig, einem der malerischsten Fischerdörfer Großbritanniens. Von dort aus legen die Fähren Richtung Skye und den kleineren Inseln der Inneren Hebriden ab. Dann ist Winterpause.
Man spürt, warum das kein Ganzjahres-Verkehrsmittel ist. Denn an Bord der reichlich betagten Waggons zieht es gewaltig. Den Passagieren ist das üblicherweise egal. Hauptsache, man ergattert inmitten der Nostalgiker, „Harry-Potter“-Fans und „Trainspotter“ einen Platz.
Ritterschlag für "Beton-Bertl"
Knapp mehr als zwei Stunden lang braucht die Dampflok für die gut 66 Kilometer. Höhepunkt ist natürlich die Überquerung der „Harry Potter“-Brücke, des Glenfinnan Viadukts mit seinen 21 Bogen. Eine Glanzleistung eines gewissen, sinnigerweise Robert McAlpine heißenden Ingenieurs. Das 380 Meter lange und bis zu 30 Meter hohe Bauwerk trug dem Schöpfer neben dem Ritterschlag auch einen pfiffigen Spitznamen ein: „Concrete Bob“ (engl. für „Beton-Bertl“).
Indian Pacific
Was Europäern der Orient Express, ist Australiern der Indian Pacific: 4.000 Kilometer quer durch den fünften Kontinent. Das verspricht ein Abenteuer, für das man sich Zeit nehmen muss. Denn der Wüstenzug hat ein Tempo von maximal 115 km/h.
Bei uns erblickt man entlang mancher Strecke Hasen, Kühe, Pferde und Hirsche. Hier sind es Kängurus, viele Kängurus. Denn diese Strecke ist über 4.000 Kilometer lang, führt durch die Wüste und ist äußerst dünn besiedelt. Wer sich an Bord der silberglänzenden Edelstahl-Waggons des Indian Pacific begibt, hat also vorwiegend eines im Sinn: Er will nicht das Paradies, sondern das große Nichts sehen.
Das war nicht immer so. Der englische Entdecker Edward John Eyre (1815-1901) war der erste Europäer, den es in diese heiße, menschenleere Gegend verschlagen hat. Im Jahr 1841 durchquerte er mit seinem Begleiter, dem Aborigine Wylie, die ausgedörrte Nullarbor-Wüste im Süden Australiens. „Ein Ort, an den es einen in schlechten Träume verschlägt“, notierte der Forscher danach frustriert.
Dank der Eisenbahn muss man heute keine solchen Strapazen mehr auf sich nehmen, aber die Nullarbor-Ebene ist noch genauso lebensfeindlich
Einmal pro Woche
Von einem Ozean zum anderen, vom Indischen zum Pazifischen. Das klingt nach einem Urlaubserlebnis, von dem man gerne berichten würde, oder? Wenn man es nur erwarten kann. Denn um mit dem Indian Pacific an das andere Ende des Kontinents zu gelangen, ist man vier Tage und drei Nächte unterwegs.
Weil die Nachfrage nicht gar so groß ist, verkehrt die Eisenbahn auf dieser seit 1917 existierenden Strecke nur einmal die Woche. Dass auf der Strecke jemand zusteigt, kommt dabei so gut wie nie vor. Wie auch, sind doch viele Orte in der Zwischenzeit zu Geisterstädten mutiert.
Highway To Hell
Etwa Cook. Nur vier, fünf Häuser stehen dort, und die sind bloß für Stunden bewohnt. Denn Cook wird mittlerweile lediglich als Station genutzt, um die Diesel- und Wassertanks der Züge aufzufüllen.
Die einzige Verbindung zur Zivilisation ist eine 100 Kilometer lange Buckelpiste. Die führt zu jenem Highway, der AC/DC zu dem Song „Highway to Hell“ inspiriert hat.
Natürlich hat die in Sydney gegründete Rockband auch ein Eisenbahnlied im Repertoir: „Rock 'n' Roll Train“.
Die Kap-Kairo-Linie
Jeder Kontinent hat eine eigene „Bahngeschichte“ zu erzählen. Die von Afrika ist unvollendet. Denn aus dem Traum, von Nord nach Süd zu dampfen, wurde nichts. Bis heute ist die Strecke vor allem eines – lückenhaft.
Klotzen, nicht kleckern, war sein Motto. Cecil Rhodes (1853-1902), britischer Unternehmer, Politiker, Überdrüberträumer. „Die Eisenbahn sah er als einigendes Band, das dabei helfen würde, weitere Flecken auf der Landkarte rot auszumalen“, schreibt Sarah Baxter in „500 Zugreisen“. Auf gut Deutsch: Er wollte die Macht des britischen Empire noch weiter über den Globus ausdehnen.
Zwei Dinge kamen ihm dabei in die Quere: Zum einen, dass er nicht einmal fünfzig Jahre alt wurde. Zum anderen, dass die geplante Kap-Kairo-Linie mit einer Länge von 10.500 Kilometern gewaltige Hürden zu überwinden hatte: Wüsten, Schluchten, riesige Gewässer, Gebirge, flirrende Hitze sowie eine Flora und Fauna, die in Afrika nach wie vor nicht wirklich auf einen Kuschelkurs aus ist.
Dabei wäre es zu schön gewesen, könnten Eisenbahnfans neben der Transsibirischen Eisenbahn oder dem Orient Express auch die Kap-Kairo-Linie besteigen, wenn sie einmal die Lust nach einer richtig langen Reise überkommt.
Lücke um Lücke
Und warum auch nicht? Immerhin existierte bereits anno 1898 eine funktionierende Eisenbahnverbindung zwischen der ägyptischen Hauptstadt Kairo und der Grenzstadt Assuan.
Ein Jahr zuvor hatten Briten Geleise durch die Wüste in die sudanesische Hauptstadt Khartum gelegt. 1892 wurde eine durch Kenia führende Eisenbahn eingeweiht, die von den Kritikern den vertrauenswürdigen Namen „Lunatic Express“ („Wahnsinnsexpress“) verpasst bekam. Trotzdem besteht die ursprünglich grandios angedachte Verbindung vor allem aus einem: Lücken.
Neben Alexandria–Assuan, sind die Abschnitte Wadi Halfa–Khartoum, Nairobi–Mombasa, Daressalaam–Livingstone sowie Johannesburg–Kapstadt in Betrieb. „Alles in allem eine langsame, zerrissene, aber eindrucksvolle Abenteuerreise“, bringt es Sarah Baxter auf den Punkt. Aber immerhin.
Länder ohne Zug
Denn es gibt zahlreiche Länder, die keinen Zugang zu einem Zug haben. Neben Malta und Zypern sowie dem Kleinstaat Andorra gibt es gut zwei Dutzend Länder, die ohne jeglicher Bahnverbindungen auskommen müssen.
Eines kommt hingegen demnächst dazu: Island. Pläne für eine Schienenverbindung zwischen Reykjavík und dem Flughafen Keflavík wurden 2008 auf Eis gelegt. Jüngsten Meldungen zufolge könnte der Bau ab 2022 in Angriff genommen werden. Da fährt die Eisenbahn drüber.
Der Band „500 Zugreisen. Legendäre Eisenbahnfahrten weltweit“ (Knesebeck Verlag) der britischen Reisejournalistin Sarah Baxter tut ein übriges dazu, am Transportmittel Bahn wieder einen Trend zu erkennen.
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