Türkei droht Europa: "Religionskriege bald in Europa"

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erklärte, dass Europa schon noch lernen werde, wie man mit der Türkei umzugehen habe.

Nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden hat der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu vor einem Glaubenskrieg in Europa gewarnt. "Ihr führt Europa einem Abgrund entgegen", sagte Çavuşoğlu im südtürkischen Antalya nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Donnerstag. "Bald könnten in Europa auch Religionskriege beginnen, und sie werden beginnen".

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sind wegen der Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Minister angespannt. Zum Eklat kam es vergangenes Wochenende, als die Niederlande eine Auftritt der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in Rotterdam verhinderte.

Europa werde schon lernen, wie man mit der Türkei umzugehen habe, sagte Çavuşoğlu weiter. Ansonsten werde die Türkei es Europa beibringen. "Ihr werdet von Eurem befehlenden Diskurs absehen. Die Türkei befiehlt", sagte er. Die Türkei sei die "Umma", die weltweite Gemeinschaft von "zwei Milliarden" Muslimen. "Deshalb könnt Ihr mit der Türkei nicht im Befehlston sprechen. Ihr müsst anständig reden, Ihr könnt um etwas bitten."

Türkei setzt Flüchtlingsdeal aus

Wegen des Streits hat die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der EU teilweise ausgesetzt. Derzeit würden keine Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückgenommen, sagte Mevlüt Çavuşoğlu. Zugleich drohte er mit der vollständigen Aufkündigung des Flüchtlingspakts.

Für die Menschrechtssprecherin der Grünen, Alev Korun, zeigt die nun erneut angedrohte Aufkündigung der Vereinbarung, dass solche Deals keine Lösung seien. Die Grünen hätten bereits vor dem Abschluss dieses Abkommens 2016 gewarnt. Man würde Schutzsuchende zum Spielball von machtpolitischen Interessen machen, erklärte Korun. Team Stronach Klubobmann Robert Lugar meinte: "Wenn Erdogan das Flüchtlingsabkommen mit der EU einseitig aufkündigt, dann muss das Konsequenzen haben. Unsere Forderung nach Wartecamps in Nordafrika muss endlich umgesetzt werden."

Türkei droht Europa: "Religionskriege bald in Europa"
Eckdaten der Vereinbarung, Übersichtskarte Griechenland, Entwicklung der Flüchtlingsankünfte seit Anfang 2015 - Säulengrafik GRAFIK 0285-17, 88 x 165 mm

Strache: Konsequenzen ziehen

Heinz-Christian Strache, FPÖ-Obmann, forderte indes, dass Österreich und die EU aus den Entwicklungen in der Türkei endlich die Konsequenzen ziehen müssen. Politische Wahlauftritte von türkischen Politikern seien in Österreich nicht nur nicht willkommen, sondern von der Regierung konsequent zu unterbinden, zu untersagen und zu verhindern.

Die rot-schwarze Regierung kündige nur an und setze nichts um. Dies sei ein völlig unglaubwürdiges Verhalten. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seien unverzüglich abzubrechen. "Die Türkei kann, darf und soll nicht EU-Mitglied werden", erklärte der FPÖ-Chef. Möglich sei nur eine privilegierte Partnerschaft zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die rot-schwarze Regierung hingegen lehne den Abbruch ab und täusche damit die eigene Bevölkerung.

Aufgrund der türkischen Entwicklung hin zu einer "Präsidial-Diktatur" müssten die EU-Außengrenzen massiv geschützt werden. "Erdogan kann nicht der Türsteher der EU sein, der die Tore nach Lust und Laune öffnet und schließt", betonte Strache. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen gegen Kurden, Journalisten, und Oppositionelle müssten auch EU-Sanktionen gegen die Türkei erlassen werden.

Vor einem Jahr wurde zwischen der EU und der Türkei der Flüchtlingspakt vereinbart. Das Ziel: Den Flüchtlingszustrom in die EU einzudämmen, indem die Menschen davon abgehalten werden, in überfüllten Booten die gefährliche Reise von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln anzutreten.

Seither hat die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die illegal nach Griechenland übersetzen, stark abgenommen. Dennoch ist das Abkommen umstritten; vor allem Hilfsorganisationen kritisieren den Deal mit der Türkei. Die wichtigsten Aspekte im Überblick:

Was regelt der Flüchtlingspakt?

Seit März 2016 können Flüchtlinge, die illegal zu den griechischen Inseln übersetzen, zurück in die Türkei gebracht werden. Zuvor dürfen sie einen Asylantrag stellen - nur wer glaubhaft machen kann, dass er in der Türkei gefährdet ist, erhält in Griechenland Asyl. Eine Sonderregelung gibt es für Syrer: Für jeden syrischen Staatsbürger, der zurückgeschickt wird, soll ein anderer Syrer von der EU auf legalem Weg aufgenommen werden.

Woran entzündet sich die Kritik?

Grundlage des Paktes ist die Annahme, dass es sich bei der Türkei um einen sicheren Drittstaat handelt, also um ein Land, in dem Flüchtlinge nichts zu befürchten haben. Genau diesen Punkt jedoch bezweifeln Hilfsorganisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk und Ärzte ohne Grenzen. Zudem kritisieren sie, dass der Pakt für die Flüchtlinge auf den Inseln nur eine Art Hau-Ruck-Asylverfahren vorsieht, dass also der Einzelfall nicht genau geprüft werde.

Was geschah nach dem Inkrafttreten des Abkommens?

Das Ziel, den Flüchtlingszustrom einzudämmen, wurde erreicht: Schlagartig verringerte sich die Zahl derer, die illegal übersetzten. Mittlerweile wagen täglich nur noch wenige Dutzend Menschen die Überfahrt. Wurden von Jänner bis März 2016 auf den griechischen Inseln in der Ostägäis noch mehr als 150.000 Neuankünfte registriert, waren es dieses Jahr bis Mitte März nicht einmal 3000. Offen bleibt die Frage, ob die Menschen nicht mehr übersetzen, weil sie fürchten, zurückgeschickt zu werden, oder weil die Türkei ihre Küsten seit Inkrafttreten des Paktes stärker kontrolliert.

Was für Auswirkungen hat der Flüchtlingspakt in Griechenland?

Für die Inseln der Ostägäis war und ist der Pakt eine enorme Belastung. Weil die Flüchtlinge zurück in die Türkei geschickt werden sollen, dürfen sie die Inseln nicht verlassen, sondern müssen vor Ort Asyl beantragen. Bis heute dauert die Bearbeitung der Anträge Monate, immer noch sitzen rund 15.000 Menschen unter schlechten Bedingungen auf den Inseln fest. Grund für die lange Wartezeit ist vor allem der Mangel an Asylfachleuten und Übersetzern.

Funktioniert die Rückführung der Menschen in die Türkei?

Bisher sind nur rund 900 Flüchtlinge und Migranten zurück in die Türkei geschickt worden. Das liegt zum einen an der langsamen Bearbeitung der Anträge, zum anderen aber entscheiden griechische Asylrichter immer wieder, dass die Antragssteller in Griechenland Asyl erhalten, weil sie in der Türkei nicht sicher sind.

Hat der Pakt den Schleusern das Handwerk gelegt?

Jein. Die Schleuser an der türkischen Küste kommen zwar seltener ins Geschäft, dafür aber gewinnen andere Schleuser-Routen wieder an Bedeutung. So hat seither die illegale Einreise am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros zugenommen, wo die griechische Polizei fast täglich Migranten und Schleuser festsetzt. Im Mittelmeer greift die Küstenwache ebenfalls verstärkt Flüchtlingsboote auf, die sich auf direktem Weg nach Italien befinden. Und auch Routen zu Fuß oder per Auto über Bulgarien und Albanien sind weiterhin im Angebot.

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