Türkei - Niederlande: Wie der Streit eskalierte

Ein türkische Flagge in der niederländischen Stadt Rotterdam
Am Wochenende eskalierte ein Konflikt zwischen der niederländischen und der türkischen Regierung. Auslöser waren ein Einreiseverbot und türkische Wahlkampfauftritte.

"Erdoğan legt sich mit ganz Europa an." Der Titel der heutigen Printausgabe des KURIER fasst ein dramatisches Wochenende zusammen. Nach heftigen Debatten über abgesagte Wahlkampfauftritte in Deutschland und der Inhaftierung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel sorgte ein geplanter Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu in Rotterdam für einen diplomatischen Eklat zwischen der Türkei und den Niederlanden.

In der Dramaturgie des Streits lassen sich drei wichtige Vorfälle festmachen:

  • Die Niederlande verweigern dem türkischen Außenminister die Einreise.
  • Der türkische Präsident bezeichnet die niederländische Regierung als "Faschisten".
  • Die türkische Familienministerin, die ebenfalls nach Rotterdam reiste, wird zurück zur Grenze eskortiert.
https://images.kurier.at/46-90999804.jpg/251.548.513 APA/AFP/ANP/BAS CZERWINSKI NETHERLANDS-TURKEY-DIPLOMACY-POLITICS-DEMO Dutch Turkish demonstrators hold Turkish flags as they gather outside the Turkish consulate in Rotterdam, on March 11, 2017 after Netherlands refused Foreign Minister Mevlut Cavusoglu permission to land for a rally to gather support for a referendum on boosting Erdogan's powers. Turkey promised to avoid the flight ban and send another minister to Rotterdam "by land", while Cavusoglu flew to France where he is expected to address a rally on March 12 in the eastern city of Metz. Turkey's official Anadolu news agency reported that the Turkish family and social policies minister Fatma Betul Sayan Kaya would go to Rotterdam "by land" from Duesseldorf in Germany, citing her ministry as a source. / AFP PHOTO / ANP / Bas Czerwinski / Netherlands OUT Gerade der letzte Vorfall ließ den Konflikt völlig entgleisen. Staatspräsident Erdoğan beschimpfte die Niederlande als "faschistisch" und drohte mit heftigen Konsequenzen. Die niederländische Regierung um Ministerpräsident Mark Rutte verteidigte allerdings das Vorgehen. Hier ein Überblick über die Ereignisse:

Samstagvormittag (11. März 2017): Mevlüt Çavuşoğlu will am Abend im türkischen Konsulat in Rotterdam vor dem Referendum am 16. April für die von Erdoğan gewünschte Verfassungsreform werben. Die Niederlande verschärfen daraufhin ihre Sicherheitsvorkehrungen. Ministerpräsident Mark Rutte erklärte bereits am Freitagabend im niederländischen Fernsehen, dass das zwar das Territorium der türkischen Regierung sei, "aber wir werden streng auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit achten."

Çavuşoğlu ahnt bereits, dass er am Auftritt gehindert werden kann und droht den Niederlanden mit Sanktionen. Türkei werde mit harten wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen reagieren, sollte sein Flugzeug keine Landeerlaubnis bekommen.


Samstagmittag (11. März 2017): Die Drohung kommt in den Niederlanden nicht gut an. Die Regierung in Den Haag untersagt daraufhin Çavuşoğlu die Einreise und entzieht seiner Maschine die Landeerlaubnis. Präsident Erdoğan bezeichnet das Einreiseverbot bei einer Veranstaltung in Istanbul als ein "Relikt" des Nationalsozialismus. "Hindert unseren Außenminister am Fliegen so viel Ihr wollt, aber von nun an werden wir sehen, wie Eure Flüge in der Türkei landen!"

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders gießt nach der Entscheidung der Regierung Öl ins Feuer und twitterte: "Ich sage allen Türken in den Niederlanden, die mit Erdogan übereinstimmen: Geht in die Türkei und kommt nie mehr wieder!"

https://twitter.com/geertwilderspvv/status/840691278086066176 Geert Wilders (@geertwilderspvv

Samstagnachmittag (11. März 2017): Mark Rutte weist Nazi-Vorwürfe entschieden zurück und erklärte, dass er den Zorn der türkischen Regierung über das Einreiseverbot verstehe. Dennoch seien Erdoğans Äußerungen "unangebracht".

Fatma Betül Sayan Kaya (Foto), Familienministerin in der Türkei, reist aus Deutschland kommend mit dem Auto nach Rotterdam, um im dortigen Konsulat eine Rede vor Erdoğan-Anhängern zu halten.

https://images.kurier.at/46-91008129.jpg/251.546.044 APA/AFP/OZAN KOSE TURKEY-NETHERLANDS-POLITICS Turkey's Family Minister Fatma Betul Sayan Kaya (C) arrives at the Ataturk International airport on March 12, 2017 in Istanbul. Turkey's Family Minister Fatma Betul Sayan Kaya was back in Istanbul on March 12 after being expelled from the Netherlands and escorted back to Germany by Dutch police, condemning The Hague's "ugly" treatment. / AFP PHOTO / OZAN KOSE

Samstagabend (11. März 2017): Am späten Samstagabend wird Sayan Kaya daran gehindert, das türkische Konsulat in Rotterdam zu betreten. Auf Twitter teilt die Ministerin mit, dass die Polizei sie "30 Meter" vor dem Konsulatsgebäude gestoppt habe. Es kommt zu Protesten vor der Vertretung. Hunderte Menschen schwenken türkische Fahnen. Türkische Medien haben zuvor zu den Demonstrationen aufgerufen. Die niederländische Polizei rückt an.

https://twitter.com/drbetulsayan/status/840658875728723968 Dr.Betül Sayan Kaya (@drbetulsayan

Kurz darauf vermeldet das türkische Außenamt, dass die niederländische Botschaft und das Konsulat in Ankara aus "Sicherheitsgründen" abgeriegelt worden seien. Der niederländische Geschäftsträger in Ankara wird ins Außenamt bestellt. Ihm wird mitgeteilt, dass eine Rückkehr des niederländischen Botschafters, der sich zurzeit nicht in der Türkei aufhält, unerwünscht sei.


Sonntagmorgen (12. März 2017): Kurz nach Mitternacht erklärt der Bürgermeister von Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, das gesamte Stadtgebiet per Notverordnung zur Sonderzone, in der Ansammlungen nicht gestattet sind. Die Familienministerin bezeichnet er als "unerwünschte Ausländerin". Kaya wehrt sich auf Twitter: "Die Niederlande verletzen alle internationalen Gesetze, Konventionen und Menschenrechte, indem sie mich nicht ins türkische Konsulat in Rotterdam lassen."

https://twitter.com/drbetulsayan/status/840661681529376774 Dr.Betül Sayan Kaya (@drbetulsayan

Unterdessen geht die niederländische Polizei mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor, berittene Beamte versuchen die Menge auseinanderzutreiben. Hunde und Schlagstöcke kommen zum Einsatz.

Familienministerin Kaya hat sich lange Zeit geweigert, die Niederlande zu verlassen. Doch um etwa 3.00 Uhr morgens steigt sie vor dem Konsulat aus ihrem blockierten Dienstwagen in ein anderes Fahrzeug um, in dem sie unter Polizeischutz zur deutschen Grenze eskortiert wird.


Sonntagvormittag (12. März 2017): Kaya fliegt vom Flughafen Köln-Bonn in einem privaten Flugzeug zurück in die Türkei, wo sie sich über die Vorgehensweise der Niederlande echauffiert. "Wir waren einer unhöflichen und groben Behandlung ausgesetzt", sagt Kaya bei ihrer Rückkehr nach Istanbul. "Eine weibliche Ministerin so zu behandeln, ist sehr hässlich. Als Ministerin mit einem Diplomatenpass brauche ich keine Erlaubnis, um mich mit unseren Bürgern in unserem Konsulat zu treffen, welches als türkisches Gebiet angesehen wird."

In Düsseldorf und Berlin gehen türkische Demonstranten auf die Straße. Nach Angaben deutscher Behörden bleibt es friedlich. Nach wenigen Stunden werden die Proteste aufgelöst.

https://images.kurier.at/46-90999771.jpg/251.548.520 APA/AFP/ANP/BAS CZERWINSKI NETHERLANDS-TURKEY-DIPLOMACY-POLITICS-DEMO Members of the police stand in line during a gathering of several hundred demonstrators waving Turkish flags outside the Turkish consulate in Rotterdam, on 11 March 2017 after Netherlands refused Foreign Minister Mevlut Cavusoglu permission to land for a rally to gather support for a referendum on boosting Erdogan's powers. Turkey promised to avoid the flight ban and send another minister to Rotterdam "by land", while Cavusoglu flew to France where he is expected to address a rally on March 12 in the eastern city of Metz. Turkey's official Anadolu news agency reported that the Turkish family and social policies minister Fatma Betul Sayan Kaya would go to Rotterdam "by land" from Duesseldorf in Germany, citing her ministry as a source. / AFP PHOTO / ANP / Bas Czerwinski / Netherlands OUT

Die offizielle türkische Politik reagiert abermals mit Drohungen Richtung Niederlande. Sein Land werde härteste Vergeltung üben, teilt Ministerpräsident Binali Yildirim mit. Die Türkei werde dieses inakzeptable Verhalten mit gleicher Münze heimzahlen. Die Antwort darauf werde in der "schwersten Art und Weise" ausfallen. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin twittert: "Schande über die niederländische Regierung“. Diese habe "anti-islamischen Rassisten und Faschisten" nachgegeben und damit die Beziehungen beider Länder beschädigt.

https://twitter.com/ikalin1/status/840828903392448512 Ibrahim Kalin (@ikalin1

Der niederländische Premier Rutte will die Wogen glätten. Er werde alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um den Konflikt mit der Türkei zu entschärfen. Zugleich verteidigt er die Ausweisung der türkischen Familienministerin und stellt klar, dass sich die Niederlande nicht erpressen ließen. "Was gestern passiert ist, ist total inakzeptabel", sagt Rutte. "Es war unerwünscht, dass sie hier war."

In Istanbul dringt ein Demonstrant in das niederländische Konsulat ein und hisst die türkische Flagge. "Allahu akbar", ruft er vom Dach. Er entkommt, wenig später wird wieder die niederländische Flagge gehisst.

https://images.kurier.at/46-91009008.jpg/251.546.874 AP A Turkish flag is lowered on the Dutch consulate i… A Turkish flag is lowered on the Dutch consulate in Istanbul shortly after a man climbed onto the roof and replaced the Netherlands' flag with the Turkish one, Sunday, March 12, 2017. The escalating dispute between Turkey and the Netherlands spilled over into Sunday, with a Turkish minister unable to enter her consulate after the authorities there had already blocked a visit by the foreign minister, prompting Turkish President Recep Tayyip Erdogan to call the Dutch " fascists." (AP Photo)

Sonntagmittag (12. März 2017): Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hält im französischen Metz eine Rede. Er droht den Niederlanden abermals mit Konsequenzen, sollten sie sich nicht entschuldigen. Auf Twitter betont er aber, dass eine Entschuldigung nicht ausreichen werde.

https://twitter.com/MevlutCavusoglu/status/840903007319519232 Mevlüt Çavuşoğlu (@MevlutCavusoglu

In Istanbul sagt Präsident Erdoğan, dass die Niederlande "den Preis bezahlen und lernen werden, was Diplomatie ist. Wir werden ihnen internationale Diplomatie beibringen."


Sonntagnachmittag (12. März 2017): Das Außenministerium in Den Haag mahnt die türkischen Behörden, für die Sicherheit niederländischer Diplomaten in dem Land zu sorgen. Es wird eine Beschwerde wegen der türkischen Flagge über dem niederländischen Konsulat in Ankara eingereicht.

Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault fordert alle Beteiligten des Konflikts auf, zur Mäßigung beizutragen. Die Türkei sei gebeten, Übertreibungen und Provokationen zu vermeiden. Der konservative französische Präsidentschaftskandidat François Fillon wirft der französischen Regierung vor, im Streit mit der Türkei keine Solidarität mit Frankreichs "engsten Verbündeten" Deutschland und den Niederlanden zu zeigen. Seine rechte Konkurrentin Marine Le Pen twitterte: "Kein türkischer Wahlkampf in Frankreich."

https://twitter.com/MLP_officiel/status/840916927820255232 Marine Le Pen (@MLP_officiel

In Metz nennt Außenminister Çavuşoğlu die Niederlande "Hauptstadt des Faschismus". Die Regierung in Den Haag müsse Rechenschaft ablegen.

In Dänemark spricht sich die Regierung für die Verschiebung eines noch im März geplanten Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim aus. Als Grund führt Ministerpräsident Lars Lokke den Streit zwischen der Türkei und den Niederlanden an.

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