Der rasche Umsturz in Syrien, Chaos in der Sahelzone, bald drei Jahre Krieg in der Ukraine, mehr als ein Jahr Krieg im Nahen Osten, die zunehmende Machtlosigkeit Europas – die Welt befindet sich in einem rasanten Umbruch. Viele vermuten dabei wenig Gutes für die europäischen Staaten. Walter Feichtinger, Leiter des Centers für Strategische Analysen (CSA), ist im KURIER-Gespräch jedoch anderer Meinung. Trotz zahlreicher Herausforderungen auf internationaler Ebene zeichneten sich Ansätze ab, die Anlass zu Optimismus böten.
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Besonders betont er die Notwendigkeit eines gemeinsamen Narrativs: „Donald Trump will ,Amerika wieder groß machen’, China möchte bis 2049 zur (führenden) Supermacht aufsteigen, Indien will Weltmacht werden, Russland ebenso“, sagt Feichtinger. „In Europa vermisse ich ein gemeinsames Narrativ, das neben der Politik auch die Wirtschaft und die Gesellschaft vereint und Orientierung bietet. Ohne ein solches landet man bald tief unten im moralischen Schützengraben.“
Chance für EU
Für ihn böte eine „Globalisierung 2.0“ eine Chance für den Alten Kontinent, seine Stärken zu bündeln und zielgerichtet einzusetzen: „Breitere Partnerschaften und eine Diversifizierung von Handelsbeziehungen könnten die bisherigen Abhängigkeiten von einzelnen Akteuren reduzieren. Stichwort: Energie aus Russland, Produktionsstätten in China. Besonders die Golfregion und Indien bieten Potenzial für innovative Allianzen“, so Feichtinger.
Europa könne so als vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen werden – vorausgesetzt, es agiere mit Pragmatismus und ohne „belehrenden Unterton“. „Das muss eine der Lehren aus der jüngeren Vergangenheit sein: So funktioniert es nicht. Mit dieser – ich würde fast sagen – übertriebenen Priorisierung von Wertvorstellung hat Europa keine Partner gewonnen, sondern viele vor den Kopf gestoßen“, sagt Feichtinger. Man müsse existierende Realitäten zur Kenntnis nehmen und davon absehen, politische Reformen von außen zu erzwingen. Sein Ansatz: „Ich plädiere für einen flexiblen Pragmatismus.“
Pulverfass Sahelzone
Dieser müsse sich etwa in der Sahelzone zeigen: Bereits jetzt bilden Flüchtlinge und Migranten aus Mali die drittgrößte Einwanderungsgruppe nach Europa, Tendenz steigend. Nach einigen Militärputschen lassen sich vor allem Mali, Burkina Faso und Niger von Russland im Kampf gegen Rebellen und Terrorgruppen unterstützen. Frühere westliche Ansätze, politische Reformen zu erzielen, sind gescheitert. „Aber Russland kann keinen Staat machen, das wird auch in der Sahelzone immer klarer“, so Feichtinger.
Moskau biete weder wirtschaftliche Entwicklung noch Sicherheit für die Bevölkerung. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die betroffenen Staaten ihre Partner neu wählen und die internationale Gemeinschaft – inklusive Europa – zur Rückkehr einladen.
Frieden in Nahost?
Trotz der schwierigen Lage im Nahen Osten gibt es laut Feichtinger ebenfalls Anzeichen für positive Entwicklungen. „Das Abraham-Abkommen von 2020, das unter Donald Trump initiiert wurde, zeigt, dass auch für Saudi-Arabien eine Kooperation mit Israel möglich und sinnvoll wäre . Der Geist der Annäherung lebt, doch es gilt, eine akzeptable Lösung für die Palästinenser zu finden.“ Der Iran hingegen sei durch die faktische Zerschlagung der Hamas, die massive Schwächung der Hisbollah und den Sturz der Assad-Regierung stark geschwächt. „Das könnte dazu beitragen, die Machtverhältnisse im Nahen Osten neu zu ordnen und Wege hin zur Stabilität zu ebnen“, sagt Feichtinger.
Wie aber könnte Syrien, wo eine Terrororganisation – organisiert in Dutzenden Splittergruppen – an der Macht ist, Stabilität erreichen? „Ich würde sagen, die Chancen stehen 50:50, dass es funktioniert. Es muss klar sein, dass möglichst viele Kräfte bei der Schaffung eines neuen Syriens eingebunden werden müssen und dass eine radikal-islamistische Regierung wie in Afghanistan inakzeptabel ist“, so Feichtinger.
Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die UNO, aber auch die Türkei, arabische Staaten sowie die EU, können verstärkt in den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Landes investieren, wenn die syrischen Machthaber kooperierten. Feichtinger sieht Chancen für eine diplomatische Lösung, „die pragmatische Ansätze mit klaren Bedingungen kombiniert“.
Pläne für die Ukraine
Auch in der Ukraine sieht Feichtinger Möglichkeiten für einen Waffenstillstand: „Ich halte es für möglich, dass ein Präsident Trump so starken Druck auf beide Seiten aufbaut, dass man sich auf Gespräche einigt, um den Krieg vorerst zu stoppen.“ Der nächste – und deutlich schwierigere Schritt – sei es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. „Wer kann ein solches Abkommen absichern? Wer der Ukraine die notwendigen Sicherheitsgarantien geben? Eine umfangreiche EU-Friedensmission ist unrealistisch, weil schlicht und einfach die Kapazitäten nicht vorhanden sind“, sagt Feichtinger.
Der Krieg müsse politisch gelöst werden – und diese Lösung ist militärisch zu garantieren. „Hier müssten mehrere Staaten, auch unter Mitwirkung der UNO, an einem Strang ziehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass z. B. Indien Friedenstruppen entsendet, um ein Zeichen zu setzen – zu zeigen, dass man an Frieden in der Region interessiert ist.“ Der Westen habe die Chance, mit vereinten diplomatischen und wirtschaftlichen Kräften eine tragfähige Lösung zu unterstützen. Gleichzeitig werde deutlich, dass Russland mit begrenzten Kapazitäten und wachsendem innerem Druck konfrontiert sei, „was Spielraum für Veränderungen schafft“.
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