Assad ist gestürzt - doch Syrien könnte noch viel tiefer fallen

Assad ist gestürzt - doch Syrien könnte noch viel tiefer fallen
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Bürgerkrieg in eine noch blutigere Phase übergeht als es in den vergangenen 13 Jahren der Fall war.
Armin Arbeiter

Armin Arbeiter

Freude in Damaskus, Freude in zahlreichen Städten auf der ganzen Welt: Der nunmehrige Ex-Präsident Syriens, Bashar al-Assad hat sein Land verlassen, binnen weniger Tage brach sein Regime in sich zusammen. Zahlreiche Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten unter seinem brutalen Machtapparat gelitten hatten, können aufatmen.

Höchstwahrscheinlich nur kurz. Denn in Syrien wird derzeit ein Machtwechsel vollzogen, dessen Auswirkungen noch völlig ungewiss sind. Sowohl für das Schicksal des Landes als auch für die gesamte Region – und auch für Europa. Das „oberste Ziel“ müsse sein, „dass die syrische Zivilbevölkerung wieder Perspektiven vor Ort hat und eine Rückkehr Geflüchteter möglich ist“, ließ das österreichische Außenministerium wissen. Das klingt gut, das ist ein legitimes Ziel. Und wahrscheinlich werden viele der Tausenden Syrer, die am Sonntag in Wien den Sturz Assads feierten, damit liebäugeln, in ihre Heimat zurückzukehren.

Im Libanon machen sich Berichten und Videos zufolge zahlreiche Syrer auf den Weg zurück. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dürfte nach einer zu erwartenden Offensive in Nordsyrien Hunderttausende syrische Flüchtlinge aus der Türkei dort ansiedeln. Doch die Mächte, die nun das Szepter in Damaskus in der Hand halten, sind keine Guten. Noch vielmehr wurden sie durch einen gemeinsamen Feind zusammengehalten, der nun fehlt. Es ist beileibe nicht unwahrscheinlich, dass der syrische Bürgerkrieg in eine weitere, noch blutigere Phase übergeht als es in den vergangenen 13 Jahren der Fall war. Vor allem die Christen und Alawiten könnten infolge eines „Erbfolgekriegs“ zwischen den Fronten zerrieben werden.

Inwieweit der rasante Machtwechsel zu einer neuen, massiven Flüchtlingskrise führt, kann derzeit nicht prognostiziert werden. Schon gar nicht, wohin die assadtreuen Syrer flüchten werden, wenn sie von ihren bisherigen Feinden verfolgt werden – was sehr realistisch ist. In Aleppo wurden gefangene syrische Soldaten kurzerhand per Kopfschuss hingerichtet.

Auch bleibt abzuwarten, ob Russland sich tatsächlich endgültig aus Syrien zurückzieht und sich die regionalpolitische Niederlage eingesteht.

Ebenso ist nicht davon auszugehen, dass der Iran die Schmach, den „schiitischen Halbmond“ – eine Landverbindung von Teheran bis Beirut – verloren zu haben, auf sich sitzen lässt. Verlassen beide Mächte Syrien, wird dieses Vakuum von anderen Kräften gefüllt. Das sind weder die USA – und schon gar nicht die Europäische Union. Einmal mehr ist die 450 Millionen Einwohner starke Staatengemeinschaft dazu verdammt, abzuwarten, ob die Auswirkungen eines Konflikts in der Nachbarschaft auch sie betreffen werden.

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