Demokraten wollen "Atomschlag" von Trump verhindern, Widerstand wächst
„Ungefähr so wie Fort Knox.“ Das ist die Standard-Antwort von Experten in Washington auf die Frage, wie es um die Sicherheit der in elf Tagen stattfindenden Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden bestellt sein wird. „Eine zweite Erstürmung wird es nicht geben“, sagte ein hoher Beamter des Außenministeriums dem KURIER mit Blick auf in rechten Internet-Foren zirkulierende Spekulationen: „Wer sich mit dem Gedanken trägt, die Zeremonie zu stören, wird sein blaues Wunder erleben.“
Sichtbarster Ausdruck, dass die Verantwortlichen aus der Katastrophe gelernt haben, ist ein mehr als zwei Meter hoher Metallzaun. Er wird für 30 Tage rund um den Kongress hochgezogen. Zudem werden die lokalen Sicherheitsbehörden rund um die 2.300 Mann starke „Capitol Police“ mit über 6.000 Nationalgardisten verstärkt.
Donald Trump wird es nicht sein, der die Zeremonie stört. Er teilte am Freitag via Twitter mit, nicht teilnehmen zu wollen. Als erster Amtsinhaber seit 150 Jahren.
Für Biden ist es eine "gute Nachricht", dass der Präsident nicht kommen werde, wie er am Nachmittag in Wilmington, Delaware, sagte. "Das ist eines der wenigen Dinge, bei denen Trump und ich derselben Meinung sind." Trump habe die schlimmsten Befürchtungen übertroffen, die Biden hatte.
Amtsenthebungsverfahren
Wiederholt haben Demokraten Donald Trump in den vergangenen Stunden und Tagen zum Rücktritt aufgefordert. Die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, kündigte an, dass der Kongress ein Amtsenthebungsverfahren anstrengen werde, wenn der Präsident nicht "sofort" zurücktrete.
Zu diesem Zweck suchte sie die Unterstützung im republikanischen Lager. In einem Brief an die Abgeordneten bemühte Pelosi den Vergleich mit dem Rücktritt Richard Nixons - unter dem Druck vieler Republikaner -, um einem "Impeachment" zu entgehen.
Am Montag wollen Abgeordnete im Kongress mit dem Amtsenthebungsverfahren starten. Ein Entwurf, der CNN vorliegt, beinhaltet auch den Vorwurf, dass der Präsident die Sicherheit der Vereinigten Staaten und seiner Institutionen "ernsthaft gefährdet" habe. Er habe die "Integrität des demokratischen Systems bedroht" und die friedliche Machtübergabe "gestört".
Militärschläge und atomare Angriffe
Die Demokratin hat sich zudem mit der Führung der US-Streitkräfte beraten, um den in ihren Augen "instabilen Präsidenten" daran zu hindern, "Militärschläge zu beginnen" oder einen "atomaren Angriff" zu befehlen. Das erklärte die Demokratin am Freitag nach einem Gespräch mit Generalstabschef Mark Milley.
Der abgewählte Republikaner Donald Trump "könnte nicht gefährlicher sein und wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, die Menschen in Amerika" und die Demokratie zu schützen, so Pelosi.
Verzögern statt verweigern
Trump ist bis zur Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden am 20. Jänner weiterhin mit allen Befugnissen Präsident. Trotz seiner Wahlniederlage ist er auch weiterhin Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Militär kann sich also streng genommen seinen Befehlen nicht offen widersetzen. Führende Persönlichkeiten wie der von Trump ernannte Generalstabschef könnten Befehle aber vermutlich hinterfragen oder deren Ausführung deutlich verzögern.
Pelosi, die von Amts wegen das dritthöchste Staatsamt nach Trump und seinem Vize Mike Pence bekleidet, kann gegenüber den Streitkräften nur ihren politischen Einfluss geltend machen, sie hat keinerlei Befehlsgewalt über das Militär. Nach dem gewaltsamen Sturm des Kapitols durch Anhänger Trumps hat Pelosi die sofortige Amtsenthebung des Präsidenten gefordert.
„Trump taktiert“
Unterdessen hat Trump angesichts massiver Schuldzuweisungen Kreide gefressen. In einer Video-Botschaft hatte er sich am Donnerstag von den Gewalttätern distanziert und das Land zur „Heilung“ aufgerufen. Sein Team wiederholte das in einem Statement aus dem Weißen Haus, das auf die Impeachment-Aufrufe reagierte.
Einhelliges Urteil von Politik und Leitmedien: Trump taktiert. Die Gründe: Rund 30 Senatoren und mehr als 100 Kongress-Mitglieder sprechen sich inzwischen für ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen ihn aus – oder die Anwendung des 25. Verfassungszusatzes, der die Entfernung aus dem Amt durch Kabinettsentscheid ermöglicht.
Sogar das konservative Wall Street Journal fordert seinen sofortigen Rücktritt. Das Justizministerium erwägt Ermittlungen. Mehrere Regierungsmitglieder, darunter bisher absolute Trump-Loyalisten, sind aus Protest gegen die Hass-Rhetorik des Präsidenten zurückgetreten. Weitere werden folgen. Facebook, Instagram und Twitter haben Trump vorübergehend den Stecker gezogen. So soll die Verbreitung von Desinformation und Wutpropaganda des Rechtspopulisten, der damit mehr als 100 Millionen Menschen erreicht, eingedämmt werden.
Ganz neue Tonart
„Man weiß jetzt nicht mehr rund um die Uhr, was im Kopf dieses Mannes vorgeht“, sagte ein Analyst im US-Fernsehen, „das ist beunruhigend“. Um den Breitseiten die Spitze zu nehmen, änderte Trump binnen 24 Stunden nach dem Eklat die Tonart. Der Angriff, den er zunächst als quasi logische Folge des ihm „gestohlenen“ Wahlsieges erklärt hatte, wurde plötzlich zu einer „abscheulichen“ Tat. Die „guten Patrioten“, die er zum Kapitol gelotst hatte, um die Beglaubigung des Biden-Sieges zu stören, wurden plötzlich zu „Beschmutzern“ der Demokratie, die für ihre Taten „bezahlen“ müssten.
Gratulation bleibt aus
Anstatt wie seit Wochen den „absolut unrechtmäßigen“ Wahlausgang zu beklagen, räumte Trump erstmals seine Niederlage ein: „Ich konzentriere mich nun darauf, eine reibungslose, geordnete und nahtlose Machtübergabe zu gewährleisten.“ Allein, eine offizielle Gratulation an Joe Biden, wie es üblich gewesen wäre, fiel Trump immer noch nicht ein.
Auch lieferte er seinen Anhängern eine Art „cliffhanger“. „Unsere unglaubliche Reise beginnt gerade erst“, sagte Trump. Was die Vermutung nähren soll, der 74-Jährige könne 2024 erneut nach der republikanischen Präsidentschaftskandidatur greifen. Davon wollen zunehmend weniger Top-Republikaner im Mainstream-Bereich der Partei etwas wissen. Dort gewinnt der Tenor überhand, dass sich Trump mit der Aufrechterhaltung der Lügen-Geschichte vom Wahlbetrug der Demokraten „endgültig disqualifiziert“ hat.
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