Temeswar wählt: Ein Schwabe will den "Sonnenkönig" stürzen
Nicolae Robu ist unkonventionell. Jede Woche verdonnert der Bürgermeister von Temeswar – Rumäniens drittgrößter Stadt – seine Mitarbeiter zum Fußballspiel. Folgende Regeln müssen beachtet werden: Der Mann mit der Nummer "10", Nicolae Robu, gewinnt, schießt die meisten Tore und ein Zusammenschnitt seines messianischen Könnens landet auf Facebook. Der 64-Jährige spielt das aktuelle Video auf seinem Smartphone ab, muss immer wieder lachen, um dann zu konstatieren: „Ich bin beidbeinig.“
Zwei Amtszeiten hat er als Bürgermeister bald hinter sich. 2012 kandidierte er für eine Allianz aus Liberal-Konservativen (PNL) und Sozialdemokraten (PSD). Mittlerweile ist er nur noch PNLer. In Rumänien gehören solche Allianzen oder kurzfristige Parteiwechsel zum politischen Alltag.
Weil Verletzungen seinen Aufstieg zum Weltfußballer verhindert hatten, legte Robu eine akademische Fabelkarriere hin und wurde in Temeswar Universitätsdirektor. Dann ging er in die Politik. Seine Wiederwahl im Mai 2020 gilt als Formsache. Wäre da nicht ein Deutscher mit dem Namen Dominic Samuel Fritz.
„Neue Revolution“
Der Schwabe hat keinen rumänischen Pass, sein Hauptwohnsitz liegt erst seit 2015 in Temeswar. Doch als Unionsbürger darf er auf Kommunalebene kandidieren. Und das macht Fritz: Er will Bürgermeister werden. 2004 absolvierte Fritz als 19-Jähriger ein Sozialjahr in Temeswar.
Er lernte Rumänisch, „verliebte“ sich in die Stadt, kam immer wieder, initiierte ein großes Chorprojekt.
Nach Antikorruptionsprotesten im Jahr 2017 in der Hauptstadt Bukarest erkannte Fritz: „Wir stehen in Rumänien an einem Wendepunkt, es braucht eine neue Revolution. Der Frust wächst, weil uns die Sozialdemokraten so enorm unter Kontrolle haben.“ Etwa 80 Prozent der Bürgermeister in Rumänien sind PSD-Mitglieder – die Nachfolgepartei der Kommunisten. „30 Jahre nach der Revolution ist die Macht des alten Systems ungebrochen. Das ist immer noch dieselbe Clique, aus PSD und PNL. Robu ist ein Vertreter dieses Systems“, meint Fritz, der einen kompletten Neubeginn fordert.
Wie kontert Robu? Entspannt: „Jeden Abend gehe ich durch meine Stadt. Die Leute machen Fotos mit mir, sie erzählen mir oft von Problemen. Ich bin sehr offen, aber ich spreche nie über die anderen Kandidaten, niemals.“
Ein Deutscher? Kein Problem
Man könnte ja meinen, dass Robu einen deutschen Gegenkandidaten grundsätzlich nicht ernst nehmen muss. Doch Temeswar tickt anders. Die renovierungsbedürftigen Fassaden der Altstadt stammen aus Zeiten der Donaumonarchie. Temeswar wird deshalb auch „Klein Wien“ genannt. Das 20. Jahrhundert war geprägt von Bürgermeistern mit deutschen Wurzeln: Josef Gabriel, Franz Schmitz, Hans Jung.
Erst unter Diktator Nicolae Ceauşescu wurden viele Deutsch-Rumänen (Banat-Deutsche) in die DDR umgesiedelt. An der Mentalität der Stadtbewohner hat das wenig geändert. An der Tatsache, dass Fritz Deutscher ist, stößt sich niemand.
"Rumänischer Trump"
Und der Deutsche ist nicht chancenlos. Er kandidiert für die USR, eine Reformpartei, die vor allem Protestwähler ansprechen soll. Bei den Europawahlen im Mai 2019 kassierte sie in Temeswar etwa 40 Prozent – die PNL nur 25. Aber: Robu ist eine Berühmtheit. Man hasst oder liebt ihn, jedenfalls polarisiert er: „Make Timisoara great again: Donald Robu“, steht auf einem Graffito. „Sonnenkönig“ wird er auch genannt.
Der Professor mit dem ewig schwarzen Haar versteht etwas von Populismus. Beim Interviewtermin in seinem Büro erzählt er grinsend folgende Geschichte: Temeswar hat ein Kabelleiden. Schwarze Ungetüme strecken sich über die Fassaden. Robu wollte die Kabelgesellschaften dazu zwingen, Internet- und Telefonkabel unterirdisch zu verlegen. Als sich diese weigerten, zog der Bürgermeister vergangenen März unter medialer Begleitung los.
Er ließ sich in einem Hebekorb in luftige Höhen hieven und kappte die Kabel einfach selbst. „Mittlerweile sind im Zentrum der Stadt fast alle Kabel in den Untergrund verlegt worden. Meine unkonventionelle Aktion hat Resultate gebracht“, freut sich Robu. Dass er mehreren Schulen und Universitäten vorübergehend das Internet ausschaltete und streng genommen wegen Vandalismus hätte angezeigt werden müssen – egal.
Zielstrebiger Rebell
Fritz hält das für fahrlässig. Die Elite könne sich alles erlauben. Deshalb gehe nichts weiter, deshalb brauche es Veränderung: Ein „Massenexodus der jungen Gebildeten“ stehe bevor – ein Problem, das weite Teile Rumäniens betrifft und trifft.
Die Studentenstadt Temeswar ist eine Ausnahme – noch. Der Deutsche fordert eine „funktionierende“ Stadtverwaltung, Fahrradwege die breiter sind als einen halben Meter, weniger Autos. Der Parkraum ist beschränkt, die Innenstadt für den Individualverkehr nicht gerüstet. Aus dem umliegenden Dörfern pendeln Menschen in die Stadt, um zu arbeiten. Öffentliche Anbindungen fehlen.
Hier möchte Fritz punkten. Auch touristisch will er die 300.000-Einwohner-Stadt voranbringen. Die Zeit drängt: Temeswar ist 2021 Europas Kulturhauptstadt. Robu gibt Entwarnung: Acht Kinos, ein Wasserturm und ein Spital werden aktuell zu Kulturzentren umgewandelt, verspricht der Bürgermeister. Teuer sei das. Wie teuer, möchte er nicht verraten. 15 Millionen Euro meinen Insider. „Mehr“, behaupten andere. Kann sich die Stadt diesen Luxus überhaupt leisten?
„Wir haben viel zu tun, wir müssen unsere Lebensqualität verbessern. Aber Temeswar ist sie auf einem hohen Level“, beschwichtigt Robu. Ein bekannter Bewohner Temeswars, der sich als „Rechter“ deklariert, stellt gegenüber dem KURIER fest: „Ich werde Fritz wählen. Aber er konzentriert sich noch zu sehr auf seinen Facebook-Auftritt. Er muss mehr unter die Leute.“ Die Botschaft ist offenbar beim zielstrebigen Schwaben angekommen. „Ich gehe jetzt öfter bewusst bei Rot über die Straße, damit ich weniger Deutsch wirke“ sagt er – und macht das dann auch.
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