Telegram: Das unsperrbare Netzwerk für IS, Impfgegner und Demokratieaktivisten
Als russische Spezialeinsatzkräfte vor seinem Haus in St. Petersburg standen und ihm kein sicherer Kanal einfiel, über den er seinen Bruder informieren hätte können, kam Pawel Durow die Idee: Einen sicheren Messenger-Dienst zu gründen, auf den der Staat keinen Zugriff haben kann. Nach einer Stunde zogen die Spezialeinsatzkräfte unverrichteter Dinge ab, die Durow-Brüder – erbitterte Kreml-Gegner – verließen Russland und gründeten 2013 Telegram.
Nein Jahre später fabulieren in deutschsprachigen Chatgruppen Tausende Menschen davon, dass Spezialeinsatzkräfte bald vor ihrer Tür stehen und sie und ihre Familien zwangsimpfen würden. Andere sehen sich als Kommandanten einer alliierten Militäreinheit, der von Ex-US-Präsident Donald Trump die Herrschaft über Deutschland anvertraut wurde. Regelmäßig wird dazu aufgefordert, Politiker zu erhängen oder zu erschießen.
Unsperrbar
Hassbotschaften, Morddrohungen – in der deutschen und österreichischen Politik werden Stimmen laut, Telegram regulieren zu müssen. Ein Vorhaben, das bereits die russische Regierung versuchte – und scheiterte. 2018 forderte der Geheimdienst FSB die Sperre – erhielt zwei metallene Schlüssel und das Schreiben: „Alles erdenklich Gute! P. W. Durow“. Auch die gerichtliche Sperre der App hatte keinen Erfolg: Der Telegram-Dienst wechselte regelmäßig seine IP-Adressen und informierte seine Nutzer via Push-Mitteilungen über die Änderungen. Die Sperre blieb wirkungslos. Schon die Tatsache, dass die Server des Messengerdienstes auf der ganzen Welt verteilt sind, macht eine Sperre de facto unmöglich. Selbst wenn die Anbieter Apple und Google Telegram aus ihrem Angebot nehmen würden, gäbe es im Netz andere Wege, die App herunterzuladen.
Nicht unbedingt sicher
Weltweit erfreut sich Telegram immer größerer Beliebtheit, zählt mittlerweile mehr als 500 Millionen Nutzer aus verschiedensten Milieus: Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ nutzte den Messengerdienst zuhauf, ebenso iranische Regierungsgegner. Auch in Hongkong vernetzten sich prodemokratische Demonstranten auf Telegram. Doch auch Anleitungen zum Waffenbau sind leicht zu finden, gleichzeitig nutzen immer mehr Menschen Telegram als Alternative zu Whatsapp, da sie der Überzeugung sind, der Dienst sei sicherer.
Das stimmt nur bedingt – eine standardmäßige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist nicht gegeben, die Inhalte, die in einer Cloud gespeichert werden, könnten irgendwann von anderen verwendet werden. Allerdings dürften vor allem die Gruppen mit einer Kapazität von bis zu 200.000 Nutzern attraktiv sein.
Eine solche Gruppe nutzte etwa der Corona-Extremist Attila Hildmann, der in Deutschland per Haftbefehl gesucht wird und in die Türkei floh. Von dort aus verfasste er offen antisemitische Nachrichten, war beispielsweise davon überzeugt, dass „die Juden sieben Milliarden Menschen mit der Impfung töten wollen“. Schließlich wurde seine Gruppe gehackt und lahmgelegt.
Sitz verwaist
In den USA allerdings sperrte Telegram nach dem Sturm aufs Kapitol Anfang des Jahres nach eigenen Angaben mehrere Dutzend militante Kanäle auf Telegram – ein seltener Fall. Im September meldete sich Durow zu Wort, erklärte, dass eine deutschsprachige Telegramgruppe mit 40.000 Mitgliedern gelöscht worden sei – sie wurde am nächsten Tag neu gegründet.
Auf Behördenschreiben reagiert Telegram in der Regel nicht, der offizielle Sitz in Dubai ist verwaist. Ein umfassendes Regelwerk über nicht zulässige Inhalte existiert nicht, Durow selbst sagte, Telegram gebe seinen Nutzern „mehr Freiheit als jede andere App“.
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