Zu wenig Wasser, Essen, Strom: Wie desaströs die Lage in Syrien wirklich ist

Zu wenig Wasser, Essen, Strom: Wie desaströs die Lage in Syrien wirklich ist
Auch wenn in Syrien nicht mehr der Assad-Clan das Sagen hat, bleibt die humanitäre Situation fatal. Der Sturz des Regimes hat auch große Auswirkungen auf die Hilfsorganisationen vor Ort.

12,9 Millionen Menschen wussten nach Angaben der Welthungerhilfe in Syrien zuletzt nicht, wie sie sich ernähren sollten – das ist die Hälfte der rund 24 Millionen Menschen im Land. Zwei Drittel der Menschen im Land sind auf humanitäre Hilfe angewiesen; der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, spricht sogar von über 90 Prozent der Bevölkerung.

Syrien liegt wirtschaftlich am Boden, der Assad-Clan hatte sich mit Drogenproduktion und Schmuggel finanziert; das Land kämpft mit großflächig zerstörten Landesteilen, die landwirtschaftliche Produktion ist stark eingeschränkt. Die humanitäre Krise bleibt nach dem Sturz von Bashar al-Assad über Nacht dramatisch – zusätzlich haben sich allerdings auch noch die Rahmenbedingungen, unter denen humanitäre Hilfe in Syrien geleistet werden kann, verschlechtert.

Ansprechpartner fehlt

Die Verteilung von Nahrungsmitteln, Hygiene-Paketen, all das ginge weiter voran. "Doch größere Hilfsprojekte wurden von einem Tag auf den anderen gestoppt", erklärt Andreas Knapp, Generalsekretär für Internationale Programme der Caritas Österreich, dem KURIER. Ein Bargeldunterstützungsprogramm etwa, finanziert von der EU, in Höhe von über eine Million Euro. Für dessen Umsetzung hatte es die Zustimmung des Assad-Regimes gebraucht – "das war ein schwieriger, langwieriger Prozess, wir erhielten einen Tag vor dem Fall der Regierung die Genehmigung." Jetzt ist die Regierung eine andere, Hilfsorganisationen ist der zuständige Ansprechpartner weggebrochen; umfangreiche Projekte liegen daher auf Eis.

Knapp lebte 2017 und 2018 selbst in Syrien und erinnert sich: "Damals haben die Rebellengruppen im Kampf gegen die syrische Armee bei einem Rückzug bewusst die Infrastruktur, etwa die Wasserversorgung, der verlorenen Gebiete zerstört, was unsere Arbeit enorm erschwert hat." Davon hat die syrische Armee jetzt abgesehen – eine gute Nachricht auch für die Leistung von humanitärer Hilfe.

Zu wenig Wasser, Essen, Strom: Wie desaströs die Lage in Syrien wirklich ist

Ein Mann reinigt sein Geldwechselgeschäft in Damaskus am 11. Dezember 2024.

Auch sei es bei der Machtübernahme der islamistischen Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) zu vergleichsweise wenig Blutvergießen an Zivilisten gekommen. In den meisten Städten setzte bereits wieder der Alltag ein, Restaurants und Geschäfte haben nach einer vorübergehenden Ausgangssperre wieder geöffnet. Das berichten übereinstimmend lokale Mitarbeiter der Caritas und internationale Medien.

Eine Million Menschen vor Gewalt geflohen

Dennoch mangelt es nach wie vor an Vielem: Grundnahrungsmitteln, Strom und Energie. Die Vereinten Nationen berichten von überfüllten Spitälern und Patienten mit Traumata und anderen Verletzungen. Im Westen des Landes sollen die Brotpreise um 900 Prozent gestiegen sein. Viele Banken sind noch geschlossen, es kommt immer wieder zu Strom- und temporären Internetausfällen.

NGOs schätzen, dass in den vergangenen Tagen mehrere Hunderttausend bis zu einer Million Menschen zusätzlich vor Gewalt geflohen sind. Die Zahl der Binnenvertriebenen im Land steigt damit auf über acht Millionen. "Die größte Bewegung kam aus der alten Rebellenregion Idlib und aus den angrenzenden Gebieten Aleppo, Hama und Homs – aus Angst vor einem Aufflammen der Kämpfe", so Knapp. Seit dem Sturz Assads passierten ein paar Tausend Syrer aus der Türkei und dem Libanon die Grenze zurück in ihr Heimatland. Was sie zuhause vorfinden, wissen die meisten nicht; auch sie dürften in Syrien weiterhin auf Hilfe angewiesen sein.

Zu wenig Wasser, Essen, Strom: Wie desaströs die Lage in Syrien wirklich ist

In Hatay warten syrische Flüchtlinge am Grenzübergang vor der Einreise nach Syrien.

Die Caritas hat in Syrien über 300 Mitarbeiter; so gut wie alle internationalen NGOs vor Ort haben internationalen Mitarbeiter wenige Tage vor dem Sturz Assads evakuiert. Derzeit sind die Grenzen geschlossen, hinaus kommt niemand. Berichten zufolge versuchen vor allem Regime-Anhänger, das Land zu verlassen.

Caritas-Generalsekretär Knapp ist "vorsichtig optimistisch", was eine neue Regierung in Syrien angeht: "Die Rebellenmilizen wissen, dass das Land auf Hilfe angewiesen ist. Sie werden auch deswegen Interesse an einer baldigen Organisation einer Regierung haben." Denn die katastrophalen Folgen von 13 Jahren Krieg, Zerstörung und einem korrupten, repressiven System bleiben dem Land. 

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