Welche Syrer sich vor den siegreichen Islamisten fürchten müssen

Welche Syrer sich vor den siegreichen Islamisten fürchten müssen
Sunniten, Alawiten, Kurden, Christen: Auch wenn der Islamist al-Dschaulani ein "Syrien für alle" verspricht, ist die Zukunft einiger Minderheiten im Vielvölkerstaat ungewiss.

"Dieser Sieg, meine Brüder, ist ein Sieg für die gesamte islamische Nation", Abu Muhammad al-Dschaulani, der Anführer der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), hielt seine Siegesrede in der ehrwürdigen Umayyaden-Moschee in Damaskus, ein Ort mit extrem religiöser Bedeutung: Die Moschee gehört mit ihren 1.300 Jahren zu den ältesten der Welt. Welche Rolle die Religionszugehörigkeit unter einer möglichen Herrschaft der HTS in Zukunft in Syrien spielen wird, ist völlig unklar.

Syrien ist ein Vielvölkerstaat; ethnische und religiöse Zugehörigkeiten überlappen sich oft. Die Hälfte der Bevölkerung gehört zur ethnischen Gruppe der Araber, gefolgt von den Kurden, sie stellen knapp zehn Prozent der Bevölkerung. Kleinere ethnische Minderheiten sind die Armenier, Turkmenen und die kaukasischen Tscherkessen; die Aramäer und Assyrer, die seit Jahrtausenden in der Region leben, sind mittlerweile in der arabischen Bevölkerung aufgegangen.

Mit oder gegen die Kurden?

Auch die Kurden, die im Nordosten Syriens auf rund 30 Prozent des Staatsgebiets inklusive großer Erdölfelder mithilfe der USA eine relativ stabile, autonome Selbstverwaltungszone halten, feierten das Ende der Herrschaft von Machthaber Bashar al-Assad. Die einen halten nun eine Zusammenarbeit der HTS mit den Kurden für wahrscheinlich; auch weil die HTS aktuell nicht stark genug sei, um auch das Kurdengebiet zu übernehmen. Die Kurden werden jedenfalls Mitsprache und Rechte einfordern.

Andere glauben, dass sich die islamistische Bewegung im Streben nach internationaler Legitimität auf Seite der Türkei stellen und eine türkische Offensive gegen die Kurdenmilizen, die als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gesehen werden, tolerieren könnte. Pro-türkische Rebellen haben zuletzt im Schatten des Falls Assads ihre Angriffe auf die kurdischen Gebiete intensiviert und die 70.000-Einwohner-Stadt Manbij von der Kurdenmiliz eingenommen.

Welche Syrer sich vor den siegreichen Islamisten fürchten müssen

Ein Kämpfer der Kurdenmiliz Syrische Demokratische Kräfte (SDF) am 08. Dezember 2024. 

Was die Glaubensgemeinschaften in Syrien betrifft, sind knapp drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Muslime, darunter der neue starke Mann Syriens, al-Dschaulani. Weltweit gehören etwa 85 Prozent der Muslime zum sunnitischen Islam. Schiiten und Ismailiten sind in Syrien nur eine Minderheit. 

Der größte Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten ist die Bedeutung des Propheten Mohammeds: Schiiten bestehen auf die Erbfolge des Propheten als Anführer der islamischen Welt, Sunniten bestimmen ihren Imam per Wahl.

Assads Alawiten fürchten Unterdrückung

Schiiten machen gemeinsam mit anderen muslimischen Gruppen in Syrien, darunter Alawiten und Ismailiten, zusammen 13 Prozent der Bevölkerung aus; rund drei Prozent der Bevölkerung gehören zur Gruppe der Drusen, die von den muslimischen Gelehrten nicht als Muslime betrachtet werden. Sie sind großteils wie die kurdischsprachigen Jesiden im Krieg vor islamistischen Gruppierungen – wie dem IS – aus Syrien geflohen.

Der Assad-Clan gehörte zur Minderheit der Alawiten, sie verbindet Einflüsse aus dem Islam, Christentum und älteren Religionen. Die Spitzen ihres Systems besetzte die Assad-Familie mit loyalen Alawiten. Sie waren damit eher auf der Seite der Profiteure vom Regime, und fürchten jetzt, aus Rache von der bisher unterdrückten sunnitischen Mehrheit ebenso unterjocht zu werden. 

Welche Syrer sich vor den siegreichen Islamisten fürchten müssen

Ein Weihnachtsbaums vor einer Kirche in Aleppo am 05. Dezember 2024. 

Christen in Syrien

Die Christen unterschiedlicher Konfessionen in Syrien – die meisten davon orthodoxe – machen heute rund 2,8 Prozent der Bevölkerung aus, werden auf etwa 500.000 Menschen geschätzt. Vor dem Krieg sollen bis zu 1,5 Millionen Christen in Syrien gelebt haben. In der christlichen Gemeinschaft dominierten über den Fall Assads Freude und Angst; christliche Gemeinden haben unter dem Assad-Regime relative Toleranz erlebt. Die Alawiten sahen die Christen stets als "natürliche Verbündete" gegen die sunnitische Mehrheit; die Angst vor einem Dschihad hatte zusammengeschweißt: Christliche Feiertage waren anerkannt, es gab weder staatliche noch gesellschaftliche Diskriminierung von Christen. 

Zuletzt bemühte sich der Islamist al-Dschaulani in seinen Reden und im Auftreten um die Minderheiten im Land. Dem katholischen Hilfswerk Missio zufolge gab es bisher keine Übergriffe gegen Christen oder religiöse Minderheiten – abgesehen auf einen Tannenbaum, der bei der Einnahme Aleppos von einem Islamisten zerstört worden sein soll. Er soll kurz darauf wieder aufgestellt worden sein.

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