Warum Erdoğan der große Gewinner nach dem Umsturz in Syrien ist
Es war schon knapp nach Beginn des Bürgerkrieges in Syrien, als der jetzige türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan 2011 (damals Premier) seine strategische Zielvorgabe als Wunsch formulierte: Er wolle irgendwann wieder in der Umayyaden-Moschee in Damaskus beten.
Nun, nachdem der Anführer der Islamisten-Einheiten, die das Assad-Regime in wenigen Tagen vertrieben hatten und die von Ankara jahrelang direkt oder indirekt unterstützt worden war, genau dort seine Siegesrede hielt, stehen die Chancen für Erdoğans Ansinnen äußerst gut.
Er wusste offenbar schon früh über den bevorstehenden Umsturz im Nachbarland Bescheid. Geopolitisch ist er der Gewinner und der neue starke Mann in der Region. Die Frage ist, wie er mit dieser Rolle umgeht.
"Klarer Sieger"
„Für den Moment ist Erdoğan der klare Sieger“, analysiert Cengiz Günay, Direktor der Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oipp), im KURIER-Gespräch.
Nicht nur, dass „seine“ Mannen nun in Damaskus das Sagen haben, seien die beiden früheren „Player“ in Syrien, der Iran und Russland, von den jüngsten Entwicklungen überrollt und stark geschwächt worden, wodurch die Türkei zusätzlich profitiert habe.
"Bad Boys"
„Ihr traut man zu, als Ordnungsmacht für einen möglichst reibungsfreien Übergang in Syrien einen positiven Beitrag leisten zu können“, sagt der Politologe Günay. Zumal im Westen der Akteur in Ankara ungleich mehr geachtet und gewünscht sei als die „Bad Boys“ in Teheran und Moskau.
Dass Syrien zu einem Vasallenstaat der Türkei verkommen könnte, glaubt der Experte aber nicht: „Einerseits sind Proxys (Stellvertreter) generell schwer zu führen und entfalten ihr Eigenleben. Anderseits sind die siegreichen Kräfte in Syrien gerade in einem Erfolgsrausch und werden sich nicht leicht von außen etwas vorschreiben lassen.“
Wie sehr die Türkei aber von den dramatischen Umwälzungen des Wochenendes schon im Vorfeld informiert gewesen sein dürfte, scheint ein Erdoğan-Auftritt vom Freitag zu beweisen.
Dort sagte er bei einer Veranstaltung seiner regierenden AKP in Gaziantep, ganz in der Nähe der syrischen Grenze, dass die islamistischen Verbände ohne große Kämpfe bis Damaskus vorstoßen würden.
Günay führt das speziell auf die Arbeit der türkischen Geheimdienste zurück, die im Norden des Nachbarlandes seit Langem „sehr präsent“ seien.
Doppelstrategie
Für Erdoğan ist die neu gewonnene geopolitische Statur nicht nur eine weitere Stärkung seines ohnehin großen Egos. Und so könnte er sich auch zweier anderer Probleme entledigen.
Zum einen der Last der offiziell rund drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Anfangs als Brüder und Schwestern mit offenen Armen empfangen wuchsen schnell die sozialen Spannungen mit der angestammten Bevölkerung. Dementsprechend forderte der türkische Außenminister Hakan Fidan nur Stunden nach dem Sturz von Diktator Bashar al-Assad alle syrischen Flüchtlinge auf, in ihre Heimat zurückzugehen.
Und Erdoğan dürfte seine Dominanz auch dafür nützen, um die syrischen Kurden, gleich jenseits der Grenzen, zu schwächen – gelten diese doch als Verbündete der türkischen PKK-Guerilla. An einen direkten türkischen Einmarsch, wie mancherorts spekuliert wird, glaubt Cengiz Günay nicht: „Das wäre teuer und aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise nicht sehr populär.“
Vermutlich würde die von Ankara alimentierte „Syrian National Army“ (SNA) die Kurden zunächst einmal östlich des Euphrats zurückzudrängen – was bereits passiert.
Der Politologe meint aber auch, dass sich das Blatt für die Türkei noch wenden könnte: „Wenn Syrien – wie etwa der Irak – in Chaos und Instabilität versinken und der ,Islamische Staat’ erneut an Boden gewinnen sollte, müsste man von einem Pyrrhussieg sprechen.“
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