Anders als die meisten der bisher getöteten islamistischen Milizenführer gehört der Mann mit bürgerlichem Namen Ahmad al-Sharaa keinem hohen islamischen Klerus an. Als radikaler Dschihadist begann der Jugendliche seinen Kampf, jetzt steht die politische Macht für den 42-jährigen an erster Stelle.
Bürgerliche Bildung
Um dies auch nach außen sichtbar zu machen, stutzte er seinen Bart, trägt khakifarbene Tarnkleidung und zuweilen sogar Hemden und Jackett. Der Sohn eines syrischen Ölmanagers, der einige Jahre in Saudi-Arabien aufgewachsen ist, genoss bürgerlichen Hintergrund und Ausbildung, spricht leise und gilt als charismatisch.
„Ich war 17 oder 18 Jahre alt und begann darüber nachzudenken, wie ich meine Pflichten erfüllen und ein Volk verteidigen könnte, das von Besatzern und Invasoren unterdrückt wird“, sagte al-Dschulani in seinem bis vor Kurzem einzigen Interview mit einem westlichen Medium vor drei Jahren. 2003 ging er zum Kampf gegen die USA in den Irak, stieg dort in den Reihen der radikal-islamischen Aufständischen rasch auf, bis er gefangen genommen wurde und jahrelang hinter Gittern landete. Eine ganze Generation dschihadistischer Anführer brachte diese Zeit in den berüchtigten US-Gefangenencamps hervor - al-Dschulani war einer von ihnen.
2011 kam er frei, mit einem Sack voll Geld und dem Auftrag der Al Kaida, die Terrororganisation auch in Syrien zu verankern, kehrte er in seine Heimat zurück.
Am Ziel, den Gotteskrieg weltweit zu führen und den Terror in den Westen zu ragen, soll er bald gezweifelt haben. Er wolle seinen Kampf vielmehr auf Syrien konzentrieren, hieß es.
Vor acht Jahren war es schließlich so weit – al-Dschulani legte sein Dschihadisten-Outfit ab, spaltete sich öffentlich von Al Kaida (die in Syrien al-Nusra hieß) ab und gründete gemeinsam mit anderen lokalen Gruppierungen eine auf Syrien fokussierte Anti-Regime-Front mit dem Namen Hayat Tahrir Al Sham (HTS).
Eine Art Ministaat in Idlib
Im Nordwesten Syriens bildete er fortan einen Art Ministaat rund um die Stadt Idlib, versuchte sich allmählich als tragfähiger Partner zu etablieren – wobei ihm vor allem die Türkei mit erheblicher Unterstützung unter die Arme griff.
Selbst bei der Tötung von Führern des Islamischen Staates soll er dabei gewesen sein. Über Jahre hinweg baute al-Dschulani die militärischen Fähigkeiten seiner Truppe aus, seit fast einem Jahr habe er, wie er in nun in einem Interview mit CNN schilderte, die jüngste Offensive auf Damaskus vorbereitet. Dabei soll er sogar eine Erklärung an Russland geschickt haben, in der er andeutete, dass HTS und Moskau beim Wiederaufbau Syriens eine gemeinsame Basis finden könnten.
Auch wenn der Rebellenführer versprach, die Minderheiten in Syrien zu schützen, macht ihn dies noch lange nicht zu einem liberalen Demokraten. Politologen, die ihn kennen, beschreiben ihn als einen „charismatischen Führer eines autoritären Regimes“. Gegner oder Feinde des HTS-Führers sollen auch getötet, gefoltert oder weggesperrt worden sein, berichten Menschenrechtsorganisation und die UNO.
Fraglich bleibt also, wie weit der einstige Dschihadist den Wandel zum Rebellen tatsächlich vollzogen hat. Die USA haben HTS als Terrororganisation eingestuft und ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf al-Dschulani ausgesetzt. Das dürfte seine Bestrebungen, Beziehungen zum Westen aufzubauen und Syrien zu befrieden und zu regieren, erheblich erschweren.
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