Krieg, Beben, Krieg: Der vergessene Konflikt in Syrien
"Provinz Hamah: Tote und Verwundete in den Reihen der Pro-Assad-Kräfte nach dem Beschuss ihrer Stellungen mit Artilleriegranaten und Raketen durch die syrischen Oppositionskräfte."
"Provinz Idlib: Assads Streitkräfte beschießen die Umgebung des Dorfes Kadoura im Süden des Landes mit Mörsergranaten."
"Provinz Rakka: Die türkische Armee beschießt Standorte der Demokratischen Kräfte Syriens in der Nähe der Stadt Ain Issa im Norden des Landes."
Das ist nur ein Auszug der Syrien-Meldungen der vergangenen Woche – einen Monat nach dem verheerenden Erbeben scheinen die Kampfhandlungen im Bürgerkriegsland wieder zum Alltag zu gehören.
Seit mehr als zwölf Jahren tobt dieser Krieg, den Machthaber Bashar al-Assad durch russische und iranische Hilfe aus aktueller Sicht mehr oder minder für sich entscheiden konnte: Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung stehen mittlerweile unter Kontrolle der Assad-Regierung. Seit dem Eingreifen Russlands in den Syrischen Bürgerkrieg im September 2015 hat die syrische Armee weite Teile des Landes zurückerobert.
Das Gros der Bodentruppen stellen schiitische Milizen, die aus dem Iran und Afghanistan stammen. Mithilfe dieser Verbündeten konnte Assad die großen Städte Aleppo, Damaskus, Homs und Hama vollständig unter seine Kontrolle bringen. Belagerten Widerständlern stellten die Streitkräfte das Ultimatum: entweder Kapitulation und Umsiedelung nach Idlib, oder Vernichtung durch Bombardements – in den meisten Fällen, etwa in der Damaszener Enklave Ghouta, ergaben sich die oppositionellen Milizen und ließen sich umsiedeln.
Humanitäre Lage ist desaströs
Dort kamen folglich alle Milizionäre, die gegen die Regierung kämpften, zusammen – Moderate wie Islamisten. Die Folge waren heftige Kämpfe um die Vorherrschaft, die – nach jahrelangem Ringen – die radikale Islamistenmiliz HTS für sich entscheiden konnte. Die unterlegenen Milizen schlossen sich an oder flüchteten in den Norden, werden von den türkischen Streitkräften unterstützt oder verdingen sich als Söldner.
Derzeit steht Idlib jedenfalls unter HTS-Kontrolle, drei Millionen Zivilisten leben dennoch nach wie vor in der Provinz. Helfer beklagten auch vor dem Erdbeben eine desaströse humanitäre Lage.
Zwischen USA und Assad
Desaströs ist die Lage auch in den kurdisch dominierten Gebieten Nordsyriens. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan versucht regelmäßig, mit Militäroperationen das syrisch-türkische Grenzgebiet unter seine Kontrolle zu bringen. Erklärtes Ziel des türkischen Präsidenten ist es, auf dem gewonnenen Gebiet syrische Flüchtlinge, die ihm gegenüber loyal sind, anzusiedeln, aber auch, die kurdisch dominierten „Syrisch Demokratischen Kräfte“ (SDF) von der Grenze zur Türkei fernzuhalten. Zwar sind die SDF mit den USA verbündet, befinden sich noch US-Soldaten auf ihrem Gebiet, doch bei den vergangenen türkischen Offensiven zogen sie sich zurück.
Dazu verüben regelmäßig Terroristen des IS Anschläge auf kurdisch dominierte Orte. Die stetige Bedrohung durch die Türkei lässt es nicht zu, das Hauptaugenmerk auf die Terrororganisation zu richten – die in den vergangenen Monaten sowohl in Syrien als auch im Irak wieder erstarkt ist. Den SDF bleiben somit nur Assad und sein Verbündeter Russland. Ein Ende des syrischen Bürgerkriegs wird noch lange eine Illusion bleiben.
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