Syrien: Wenn ein Bürgerkrieg humanitärer Hilfe den Weg versperrt
Die Menschen jubeln, strecken die Arme in die Luft, dem kleinen Mädchen entgegen, das von einem Helfer zum nächsten gereicht wird. 40 Stunden war es unter den Trümmern begraben. Sowohl seine zwei Geschwister als auch seine Eltern konnten bereits lebend geborgen werden. Von einem "Wunder" ist die Rede. Das Video ging in den sozialen Netzwerken viral.
Es brauchte wohl im wahrsten Wortsinne ein "Beben", kommentieren zynische Stimmen, damit die Welt wieder auf das seit zwölf Jahren von Bürgerkrieg erschütterte Syrien blickt. Mehr als 2.700 Tote wurden bisher gemeldet.
Besonders schlimm ist die Lage in der von den Rebellen und Islamisten kontrollierten, abgeriegelten Region Idlib, wo fast drei Millionen Binnenflüchtlinge leben, die meisten davon unter der Armutsgrenze und ohne Aussicht auf ein besseres Leben. In einem Bericht der Organisation World Vision vor zwei Monaten ist die Rede davon, dass die Selbstmordraten, vor allem unter jungen Menschen, dort in der ersten Hälfte letzten Jahres enorm angestiegen sind. Der meist angegebene Grund: eine verzweifelte wirtschaftliche Situation. Dazu kam 2022 ein Cholera-Ausbruch.
"Improvisierte Hilfe"
Während die Rettungsaktionen nach dem verheerenden Beben in der Türkei bereits angelaufen sind, schaffen es nur wenige Hilfsorganisationen nach Idlib – die syrischen Weißhelme, eine private Zivilschutzorganisation, sind in vielen Teilen der Region die Einzigen vor Ort, graben meist ohne Bergungsgeräte und mit bloßen Händen nach Verschütteten.
Infrastruktur und Ausstattung seien hier "viel schlechter als in der Türkei, das Hilfssystem ist improvisiert", berichtet Jesco Weickert, Projektleiter der Welthungerhilfe, dem ZDF. Die Spitäler hätten nicht genügend medizinisches Material, um die Verletzten zu versorgen.
NGOs fordern offene Grenzübergange
International wurde bereits die Öffnung aller Grenzübergänge gefordert, um Hilfe aus der Türkei nach Syrien zu schaffen. Aktuell ist nur einer, Bab al-Hawa an der Hauptverbindungsstraße von Aleppo nach Antakya, offen. Dort verzögere sich aber wegen Straßenschäden die Lieferung humanitärer Hilfe, heißt es aus UNO-Quellen.
Für die vom Regime kontrollierten Gebiete, vor allem für die Stadt Aleppo, kann Hilfe hingegen nur über Damaskus kommen. Unterstützer von Präsident Baschar al-Assad, allen voran Russland, und der Iran, gefolgt vom Irak und den Golfstaaten, haben Hilfe geschickt, die bereits in Damaskus angekommen sein soll.
Anders als in den Rebellengebieten gibt es aber in der vom Regime regierten Region keine internationalen Organisationen, nur den syrischen Roten Halbmond. Der appellierte an "alle EU-Länder, die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufzuheben", und an die US-Entwicklungsbehörde USAID, "dem syrischen Volk Hilfe zu leisten".
Das Regime in Damaskus stellte einen Antrag auf Katastrophenhilfe an die EU. Ob die darauf reagiert, ist unklar, auch aus Angst vor Korruption und Fremdverwendung. Vor allem, nachdem Regierungstruppen auch nach dem Beben schwer getroffene Gebiete in Nordsyrien bombardiert haben sollen.
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