Setzt die Türkei Kindersoldaten ein?
Der Sarg liegt offen im Grab, die Familie beugt sich noch einmal über den Leichnam von Ahmad Al-Salem. Verabschiedet sich wehklagend von dem 17 Jahre alten Buben. Einige Monate zuvor war der Syrer nach Libyen aufgebrochen, als Teil der sogenannten Sultan-Murad-Division. Eine Kampfgruppe, die massiv von der Türkei unterstützt, trainiert, eingesetzt wird. Eben nicht nur im syrischen Bürgerkrieg, sondern auch in anderen Konfliktgebieten, in denen die Türkei ihren Einfluss vergrößern will. Seit mehr als einem Jahr in Libyen, aber auch in Bergkarabach, an der Seite Aserbaidschans.
Und immer wieder gibt es Berichte, wonach sich unter den Kämpfern Minderjährige befinden. 150 sollen es etwa vor einem Jahr gewesen sein, die von der Türkei nach Libyen gebracht wurden.
Harter Schlag
Dieser Berichte haben sich auch die USA angenommen – und ihren NATO-Partner Türkei am Donnerstag auf die Liste der Länder gesetzt, die im vergangenen Jahr in den Einsatz von Kindersoldaten verwickelt waren. „Wir haben glaubhafte Informationen über die Rekrutierung von Kindersoldaten“, hieß es in einem Statement des US-Außenministeriums. Noch nie zuvor hatten die USA einen NATO-Verbündeten auf diese Liste gesetzt.
Für die Türkei – noch gibt es keine offizielle Reaktion – ein harter Schlag. Und das nicht nur auf dem diplomatischen Parkett: Denn wer auf dieser Liste steht, unterliegt gewissen Beschränkungen. Etwa in Bezug auf Lizenzen für militärisches Gerät oder Unterstützung für Sicherheitsbelange. 14 weitere Staaten sind auf der unrühmlichen Liste vertreten, etwa der Südsudan, Mali, Jemen, Pakistan und Syrien. Beobachter werten die US-Aktion als Warnsignal an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Regierung unter US-Präsident Joe Biden wolle moralische Standards wieder höher halten und ihre Verbündeten ebenso dazu „ermutigen“.
Verhandlungsmasse
Allerdings könnte der US-Präsident explizit darauf verzichten, die Türkei mit Sanktionen zu belegen. Angesichts des gespannten Verhältnisses der beiden NATO-Partner eine wichtige Verhandlungsmasse. Denn derzeit führen die USA mit Ankara Gespräche darüber, ob die türkische Armee die Bewachung des Flughafens in Kabul übernehmen soll. Angesichts des
US-Abzugs aus Afghanistan wäre es für Washington von Vorteil, würde eine NATO-Streitmacht diese Aufgabe erledigen.
Dementsprechend diplomatisch gab sich auch der Sprecher des US-Außenministeriums gegenüber der Türkei: „Als angesehene Regionalmacht und NATO-Mitglied hat die Türkei die Möglichkeit, sich mit der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten in Syrien und Libyen zu befassen“, sagte er.
Der Einsatz von Kindersoldaten ist nach wie vor keine Seltenheit: 8.521 wurden im vergangenen Jahr von der UNO erfasst, die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher liegen, andere Berichte gehen von bis zu 250.000 aus. Vor allem in afrikanischen Ländern ist es nach wie vor gang und gäbe, Kinder auszubilden, zu bewaffnen und in Gefechte zu schicken. Sie seien „leichter zu manipulieren oder schlicht billiger als Erwachsene“, heißt es in einem UNICEF-Bericht.
Meist würden Kinder entführt und mit Gewalt dazu gezwungen, in anderen Fällen würden Milizen die Armut und Not der Kinder ausnutzen. Syrischen Söldnern werden von der Türkei beispielsweise Beträge im vierstelligen Bereich für den Kampfeinsatz geboten. Im Bürgerkriegsland gilt das als viel Geld.
Zweierlei Maß
Doch auch in Afghanistan und dem Jemen soll es zu Einsätzen von Kindersoldaten gekommen sein. Auch vonseiten eines anderen US-Verbündeten – Saudi Arabien. 10.000 Dollar hatte Riad sudanesischen Kämpfern – darunter 14-Jährigen – geboten, um aufseiten der jemenitischen Regierung gegen die Houthi-Rebellen zu kämpfen. Vor zwei Jahren blockierte der damalige US-Außenminister Mike Pompeo das Vorhaben, Saudi-Arabien auf dieselbe Liste zu setzen, auf der sich seit Donnerstag die Türkei befindet.
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