Österreichischer Soldat in Afghanistan: Ein Leben in der Hölle
Die Sirenen heulen. Raketenangriff. Ab in den Bunker. Es hätte ein gemütliches Barbecue werden sollen, im Garten des Hauptquartiers in Kabul.
Gerade noch saß US-Verteidigungsminister James Mattis mit seinen Soldaten am Tisch, aß einen Burger – den er nun in den Schutzbunker mitnehmen muss. Unter den Soldaten, die Mattis im September 2017 in den Bunker begleiten, ist auch Helmut Fiedler.
Für den österreichischen Generalstabsoffizier gehörte der sogenannte „Shelter-Alarm“ zur täglichen Routine. Neun Monate lang, vom Juli 2017 bis zum März 2018, war der ehemalige Jagdkommandosoldat im Rahmen der NATO-Mission „Resolute Support“ in Afghanistan in der Train-Advise-Assist Division, einer von den USA geführten Ausbildungseinheit stationiert.
Gefährliche Lage
„Die afghanischen Soldaten und Sicherheitskräfte waren so ziemlich der einzige Kontakt, den ich zur afghanischen Bevölkerung hatte“, sagt Fiedler im KURIER-Gespräch.
Nach Dienstschluss am Markt in Kabul einkaufen gehen, bei Kaffee und Wasserpfeife dem Treiben der Stadt zuzusehen? „Unmöglich“, sagt Fiedler. „Es gibt Fotos aus dem Jahr 2002, als österreichische Soldaten nur mit Barett als Kopfbedeckung in einem leichten Fahrzeug durch Kabul fuhren“, sagt Fiedler und schmunzelt. „Ich habe diese Fotos meinen amerikanischen Kameraden gezeigt. Sie konnten nicht glauben, dass sich westliche Soldaten jemals so frei in Kabul bewegen durften. Da sieht man schon, wie sehr sich die Sicherheitslage verschlechtert hat.“
130.000 NATO-Soldaten waren zeitweise in Afghanistan stationiert, dennoch gelang es nicht, für Stabilität zu sorgen. Sogenannte IEDs, selbst gebaute Bomben, die etwa unter dem Asphalt einer Straße vergraben liegen und hochgehen, sobald ein Militärfahrzeug darüberfährt, forderten ständig neue Tote, ebenso Raketen und Selbstmordattacken. 2015 stellte die NATO ihren Kampfeinsatz ein, begann mit „Resolute Support“ vor allem, die afghanischen Truppen auszubilden.
„Man kann den Resolute Support Einsatz mit ,Hilfe zur Selbsthilfe’ betiteln“, sagt Fiedler. Unter anderem bildeten er und seine Kameraden afghanische Soldaten aus, die das Erlernte dann ihren Untergebenen weitergaben. „Das verringert einerseits die Sprachbarriere, andererseits stößt es bei den Soldaten auf mehr Akzeptanz, wenn sie es von einem ihrer Landsmänner lernen“, erklärt er.
Akzeptanz als Priorität
Akzeptanz ist für Fiedler ein wichtiges Schlagwort: „Man muss sich immer bewusst sein, dass zwischen der afghanischen und der westlichen Kultur Welten liegen. Nur wenn ich meinen Auszubildenden auf Augenhöhe begegne, ist auch eine gute Zusammenarbeit möglich“, sagt er.
Was ist bei der Ausbildung fremder Streitkräfte besonders wichtig? Ein großer und wichtiger Anteil des Erfolges in der Einsatzart Military Assistance beruht auf dem Grundsatz „man muss die Leute kennen, um mit ihnen zu können“.
Durch Afghanistan hat er sich vor allem mit dem Helikopter bewegt, um der aktuellen Sicherheitssituation in Afghanistan gerecht zu werden. „Das war auch eine große Herausforderung für die Urlaubsplanung. Fliegt man mit dem Helikopter zum Flughafen, muss man nicht nur seine persönliche, sondern auch die militärische Ausrüstung mitnehmen. Aber wer bringt diese wieder zurück? Wenn einer in den Urlaub geflogen ist, war meist das ganze Team damit beschäftigt.“
Neun Monate im Kriegsgebiet sind eine lange Zeit. Fiedler, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, hat vor dem Einsatz sowohl seine Familie und seine Kameraden auf diese Zeit vorbereitet. „Man kann nicht einfach am Wochenende heimfahren. Deswegen war es wichtig, dass wir eine genaue Planung machten, die lange Zeit in Afghanistan vorab in Zwischenetappen einteilten, und so unsere Angehörigen die Sicherheit hatten, dass man zu einem gewissen Zeitpunkt heimkommt. Diese Sicherheit ist enorm wichtig“, sagt der 41-Jährige.
Gefahr ihm Camp
Im Camp selbst gab es die Möglichkeit, per Internet und Telefon Kontakt zu halten. Doch auch kleinere Restaurants und Geschäfte standen dort den Soldaten zur Verfügung. Fiedler hielt sich in der spärlichen Freizeit meist in der Kraftkammer auf: „Körperliche Leistungsfähigkeit ist die Basis eines jeden Soldaten, die muss ständig trainiert werden“, sagt der Elitesoldat.
Wie jeder andere nahm er stets seine Pistole mit in die Kraftkammer, denn Gefahr drohte auch von innen: „Immer wieder haben afghanische Soldaten, die wir eigentlich ausbilden sollten, die Waffe gegen ihre Ausbilder gerichtet. Zum Glück nie auf uns. In Camps arbeiten viele afghanische Zivilisten und auch da ist es zu Zwischenfällen gekommen.“ Fern von daheim, ständige Gefahr, welche Soldaten kommen für einen solchen Einsatz infrage? „Die mir anvertrauten österreichischen Soldaten sind alle charakterlich sehr gefestigt, müssen es mental schaffen, sich auf diesen Einsatz einzulassen“, antwortet Fiedler.
„In der Vorbereitung auf den Einsatz hatten wir die Möglichkeit, dass wir uns innerhalb der sechswöchigen Einsatzvorbereitung nicht nur militärisch, sondern vor allem auch menschlich kennen lernen konnten. Erst wenn schwierige Situationen im Einsatz zu bestehen sind, merkt man, wie wichtig ein starkes Team ist.“
Düsterer Ausblick
Mit September endet Resolute Support. Fiedler blickt diesem Ende mit Sorge entgegen: „Mit den abziehenden US- und NATO Soldaten gehen nicht nur militärische Fähigkeiten verloren, die Afghanistan noch immer benötigt, sondern innerhalb der Bevölkerung macht sich der Eindruck breit, dass der „Westen“, nach 20 Jahren intensivem Engagement, sie alleine lässt“, analysiert er.
Einen bitteren Vorgeschmack darauf gab es am Samstag. Wie die afghanische Polizei mitteilte, wurden bei Anschlägen mindestens 22 Menschen getötet. Die Attentate richten sich wieder vermehrt gegen Intellektuelle und Medienvertreter – und gegen Kämpfer von regierungstreuen Truppen. Laut Zählungen der UN wurden in den ersten drei Monaten 2021 mindestens 573 Zivilisten getötet – um 30 Prozent mehr als ein Jahr davor.
Das habe auch Auswirkungen auf Europa: „Dass Stabilität und Sicherheit in Krisenregionen direkten positiven Einfluss auf die Sicherheitslage in Österreich haben, sollte spätestens mit dem Terroranschlag in Wien vergangenen November und den Migrations- und Fluchtbewegungen in Richtung Europa vergegenwärtigt sein.“
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