Senioren-Wrestling: Erstes TV-Duell zwischen Biden und Trump
Fest steht, dass es 60 Jahre nach der Premiere zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon nicht schön werden kann. Offen ist, wie schlimm es wird.
Wenn Donald Trump und Joe Biden am Dienstagabend (Mittwoch, 03.00 Uhr MESZ) in Cleveland/Ohio zur ersten von drei TV-Debatten vor der Präsidentschaftswahl gegeneinander antreten, ist ein zivilisierter Diskurs über den Zustand des Landes oder gar ein prickelnder Ideen-Wettstreit um die Zukunft Amerikas auszuschließen.
Heißsporn Biden
Erwartete 100 Millionen Amerikaner müssen sich an den Fernsehgeräten auf ein rhetorisches Senioren-Wrestling mit vielen Tiefschlägen einstellen.
Amtsinhaber Trump (74) machte bereits 2016 gegen Hillary Clinton die persönliche Attacke samt Beleidigung und Häme zu seinem bevorzugten Stilmittel. Herausforderer Joe Biden (77) kann in solchen Situationen sein irisch verwurzeltes Heißsporn-Temperament selten im Zaum halten und holzt gern zurück.
Bidens letztes echtes TV-Duell liegt acht Jahre zurück. Damals kreuzte er als Vize-Präsident Barack Obamas die Klingen mit Paul Ryan, dem Beiboot des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney.
Die zahlengesättigten Attacken seines fast 30 Jahre jüngeren Kontrahenten wetterte Biden mit dem Repertoire des welterfahrenen Außenpolitikers und einigen schrägen emotionalen Ausbrüchen ab.
Wird diesmal nicht reichen, sagen Analysten in Washington. Auch wenn Biden in aktuellen Umfragen landesweit zehn Prozentpunkte vor Trump rangiert. Denn Trump, dessen natürliches Biotop der Raum vor einer Fernsehkamera ist, werde sich keiner sachlichen Diskussion stellen. Stattdessen, so deutet seine Kampagne an, wird der Präsident Joe Biden samt Familie, gesondert den in der Ukraine-Affäre aufgetauchten Sohn Hunter, als korrupt brandmarken.
"Rauferei"
Dass da schnell ein beleidigendes Wort das andere geben kann und die ganze Chose trotz mäßigender Intervention von Moderator Chris Wallace (Fox News) womöglich im Schlammbad endet, ist Biden bewusst: „Ich hoffe, dass ich nicht in eine Rauferei mit diesem Kerl gelockt werde.“
Für beide Männer steht viel auf dem Spiel. Trump ist vor der Kulisse von über 200.000 Coronavirus-Toten, 15 Millionen Arbeitslosen und landesweiter Pulverfass-Stimmung nach tödlicher Polizeibrutalität unter Zugzwang. Mehr als die Hälfte der Amerikaner will dem Unternehmer laut Umfragen keine zweite Amtszeit zugestehen.
Biden wiederum hat im direkten Vergleich noch nicht unter Beweis gestellt, dass er das Image des „anständigen Staatsmanns mit der ruhigen Hand“ wirklich mit Leben füllen kann.
Auftreten entscheidet
Weil in solchen TV--Debatten traditionell nicht die Substanz entscheidet, sondern das Auftreten, wird viel darauf ankommen, wie Biden den programmierten Schwall von Verleumdungen und falschen Behauptungen seines Gegenübers kontern wird.
Helfen könnte eine Mischung aus Leutseligkeit und Hemdsärmeligkeit, mit der Biden emphatischer herüberkommt und so Sympathiepunkte bei noch unentschlossenen Wähler sammeln könnte. „Er darf nicht zu unhöflich oder gar rüde sein“, sagt ein Debatten-Trainer der Denkfabrik Brookings, „aber einen Sandsack, der nur Prügel einsteckt, wollen die Leute auch nicht sehen.“
Narzisst auf schmalem Grat
Trumps Konstellation sieht anders aus. Niemand erwartet, dass der Narzisst in dem 90-minütigen Kräftemessen verbal abrüstet. Dazu hat er Biden zu oft als senil („sleepy Joe“), radikal sozialistisch und politischen Pleitier verunglimpft.
Trump, ein Meister der ambulanten Demütigung, wandelt dabei aber auf schmalem Grat. Laut Umfragen haben enorm viele Frauen, die ihn 2016 gewählt haben, die permanenten Herabwürdigungen des Präsidenten satt.
Abenteuerliche Patzer
Als Eigentor könnte sich zudem erweisen, dass er die Messlatte für Biden so tief gelegt hat, dass der langjährige Senator durch einen besonnen, kompetent und präsidial wirkenden Auftritt die Erwartungen spielend erfüllen könnte. Was voraussetzt, dass der für abenteuerliche Patzer („gaffes“) bekannte Biden Versprecher und Aussetzer gering hält.
Am Wochenende sagte er vor laufender Kamera, dass er vor „180 Jahren“ in den Senat von Washington eingezogen sei. In Philadelphia wusste er unlängst zu berichten, in Amerika könnten „200 Millionen“ Menschen an Corona sterben.
Vor der ersten Moderatoren-Frage legte Joe Biden das Fundament für einen Gegenschlag. Er sagte Trump sei „in etwa so wie Goebbels“; Hitlers NS-Reichspropaganda-Minister. „Man erzählt eine Lüge lange genug, wiederholt sie immer wieder, wiederholt sie, wiederholt sie, und dann gilt sie als Allgemeinwissen.“
Wohl keine leichten Momente
Die Aussicht auf leichte Momente, wie sie etwa 1984 die Präsidentschaft-Debatten auszeichnete, sind dadurch noch einmal gesunken. Damals wurde Ronald Reagan (seinerzeit 73) gefragt, ob er überhaupt noch das Stehvermögen für den Commander-in-Chief-Posten besitze. Der Hollywood-erfahrene Menschenfänger gab an die Adresse seines Kontrahenten Walter Mondale (damals 57) mit einem mokanten Lächeln zurück: „Ich werde die Jugend und Unerfahrenheit meines Kontrahenten nicht für politische Zwecke ausschlachten.“
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