Österreich gibt grünes Licht: Rumänien und Bulgarien ab Jänner Schengen-Mitglieder?

Symbolbild für den Schengenbeitritt von Rumänien: Schild in rumänischem Flughafen mit "Transfer Schengen"
Rumänien und Bulgarien könnten ab Jänner 2025 Vollmitglieder im Schengenraum werden. Warum das trotzdem kein Ende der Grenzkontrollen bedeutet.

Diesen Coup dürfte man Ungarn gönnen: Unter ungarischer EU-Ratspräsidentschaft wird Österreich wohl sein Veto gegen den vollständigen Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens aufgeben. Aus "Schengen Air", was seit März 2024 gilt und keine Kontrollen mehr auf dem Luft- und Seeweg bedeutet, wird eine Vollmitgliedschaft, dann fallen auch am Landweg die Grenzkontrollen weg. Das haben Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und seine Pendants aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn am Freitag im leicht angeschneiten Budapest verkündet.

Wörtlich sagte Karner, "let's cross the bridge when we are there", sprich: hundertprozentig fix ist das noch nicht. Die Vollmitgliedschaft könnte bereits mit 1. Jänner 2025 gelten, zuvor müssen die EU-Innenminister darüber abstimmen. Das soll am 12. Dezember der Fall sein.

Grenzschutzpaket: 100 Polizisten an EU-Außengrenze

Notwendig ist trotz aller Anstrengungen der letzten Monate seitens Bulgariens und Rumäniens noch ein "Grenzschutzpaket", das am Freitag verkündet wurde: 100 Grenzpolizisten (darunter auch österreichische) an der EU-Außengrenze zwischen Bulgarien und der Türkei, weiterhin Binnengrenzkontrollen und kein Durchwinken von illegalen Migranten und Schleppern – etwas, das häufig Ungarn vorgeworfen wird. Den Maßnahemn müssen die EU-Minister ebenso zustimmen. 

"Österreich hat sich durchgesetzt und Österreich und Europa sicherer gemacht", sagt Innenminister Karner. 2022 habe Österreich an der östlichen Grenze 70.000 illegale Migranten aufgegriffen, jetzt seien es 3.000. Null illegale Grenzübertritte, "das muss das Ziel sein".

Hungary, Austria, Romania and Bulgaria discuss Romania's accession bid to the Schengen zone

Gerhard Karner (ÖVP) am Freitag in Budapest

Schon in den vergangenen Wochen war durchgedrungen, dass Österreichs umstrittenes Veto demnächst kippen könnte. Die Niederlande, die ursprünglich auch gegen den Schengenbeitritt waren, allerdings weniger laut, hatten ihre Blockade schon im Vorjahr aufgegeben – es fehlt nur mehr der Beschluss im niederländischen Parlament, der trotz rechter Regierung als sicher gilt. 

Sinkende Zahlen

Österreich hatte sein Veto 2022 mit dem Kampf gegen irreguläre Migration und Schlepperkriminalität begründet, obwohl die EU-Kommission beiden Ländern attestiert hatte, die Voraussetzungen für den Beitritt zum Schengenraum zu erfüllen. Deswegen auch der Vorwurf: Österreichs Veto sei politisches Kalkül. Auch in Rumänien und Bulgarien war der Ärger groß. Vor der Presse am Freitag in Budapest war davon aber wenig übrig; der bulgarische Innenminister Atanas Ilkov und der Rumäne Cătălin Predoiu betonten "harte Anstrengungen", "gemeinsames Vertrauen" und "enge Zusammenarbeit". Karner betonte, dass sich die "Anstrengungen beim Außengrenzschutz und bei der Bekämpfung der Schlepperkriminalität", die man von Rumänien und Bulgarien verlangt habe, "bezahlt machen".

Zuletzt gingen sowohl die Zahl der Aufgriffe als auch der Asylanträge in Österreich und der EU insgesamt zurück.

Dem UN-Flüchtlingshilfswerk zufolge waren 2023 etwa 30.800 Menschen entlang der Balkanroute unterwegs, 17 Prozent weniger als im Vorjahr. Die meisten Flüchtlinge kamen aus Syrien, Marokko und Afghanistan. Im Jahr der Flüchtlingskrise 2015 kamen nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex fast eine Million Menschen über die Route in die EU. Auch aufgrund der Corona-Pandemie sanken die Zahlen 2020 deutlich; 2022 sind sie wieder gestiegen. Seit 2020 steigt die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die versuchten, über Spanien nach Europa zu kommen.

Im heurigen Jahr wurden in den Monaten September und Oktober laut Innenministerium 2.000 irreguläre Grenzübertritte an der Grenze Österreich-Ungarn festgestellt. Im selben Vorjahreszeitrum waren es 11.250. Im September und Oktober 2022 waren es 28.000 Aufgriffe.

Dem Innenministerium zufolge sind die illegalen Grenzübertritte in die EU zwischen Jänner und November dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 42 Prozent gesunken; auf der Balkanroute sogar noch stärker. Seit Jänner gab es in Bulgarien 47 Prozent weniger illegale Grenzübertritte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, in Rumänien 53 Prozent weniger. 

Neue Migrationsrouten

Karner betont die finanziellen und technischen Investitionen in die Sicherung der EU-Außengrenzen – Bewegungsmelder, Wärmebildkameras, Kohlendioxiddetektoren, Patrouillenschiffe, Geländefahrzeuge zur Grenzüberwachung – und die schnellere Rücknahme von abgelehnten Asylwerbern aus Österreich. In Rumänien und Bulgarien unterstützen österreichische Polizisten an den Flughäfen als "Dokumentenberater", um illegale Migration über Flugrouten zu verhindern. 

Judith Kohlenberger, Migrationsexpertin an der WU Wien, sagt, dass die gesunkenen Migrationszahlen "nicht kausal oder gar vorrangig auf die geschlossenen Grenzen Rumäniens und Bulgariens zurückzuführen" seien. Viel mehr gäbe derzeit eine Verlagerung von Routen, etwa über den Atlantik und die spanischen Kanaren. Dem spanischen Innenministerium zufolge kamen dort zwischen Jahresbeginn bis Mitte Oktober fast 25.000 Menschen illegal mit Booten an – das ist fast eine Verdoppelung zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. 

Kohlenberger betont auch die Verlagerung von Konflikt- und Krisenherden. "2022 und 2023 machten sich viele Syrer und Afghanen, die in der Türkei untergebracht waren, auf den Weg nach Europa. Diese Bewegung ist abgeflacht, das macht sich in den Zahlen bemerkbar." Und: "Natürlich ist der Rückgang immer relational zum Vorjahreszeitraum zu sehen, wo noch recht hohe Zahlen verzeichnet wurden."

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Treffen der Innenminister und der EU-Migrationskommissarin in Budapest.

Österreichs Einknicken ist wohl auch der Nominierung von Magnus Brunner zum neuen EU-Migrationskommissar geschuldet, der schon in seiner schriftlichen Beantwortung diesbezügliche Beweglichkeit signalisiert hat.

Die scheidende schwedische EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson, die am Freitag ebenfalls in Budapest anwesend war, betonte die Hoffnung auf den 1. Jänner 2025. Dem ungarischen Innenminister "gratulierte" sie für dessen "persönliches Engagement vor und während der EU-Rats-Präsidentschaft".

Grenzkontrollen bleiben vorübergehend

Komplett ohne Kontrollen wird es trotzdem nicht gehen: Das "Grenzschutzpaket" sieht weiterhin vorübergehende Grenzkontrollen zwischen Ungarn und Rumänien und Rumänien und Bulgarien vor; erstmal beschränkt auf sechs Monate, mit Möglichkeit auf Verlängerung. So wie es etwa Österreich seit 2015 zwischen an der Grenze zu Ungarn macht, und zuletzt wieder mehr EU-Länder, etwa Deutschland, eingeführt haben. Mit oder ohne Vollmitgliedschaft: Von einem komplett kontrollfreien Schengenraum ist Europa derzeit weit, weit weg.

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