Wie bringt man das in die Köpfe der Menschen?
Es braucht eine große Reform – vom Kindergarten bis zur Hochschule. Elementarpädagoginnen müssen ausgebildet werden, dass sie schon den Kindern beibringen, dass es ganz normal ist, dass Menschen mit verschiedener ethnischer Herkunft zusammenleben. In anderen Ländern gibt es zum Beispiel auch Lehrstühle für Migration, in Österreich noch immer nicht. Aber das zu verändern, ist ein langwieriger Prozess und man muss über Generationen ansetzen. Solange wir das nicht schaffen und die Politik das ausnutzt ...
Sie plädieren also dafür, erst Bewusstsein zu schaffen, denn nur dann kann man die Probleme angehen. Richtig?
Ich erlebe in meinen Vorträgen immer wieder, dass es bei den Menschen "Klick" macht, wenn man ihnen die historische Perspektive nahebringt. Sie verstehen dann, dass Menschen immer aus den verschiedensten Gründen unterwegs waren. Und dass die Sesshaftigkeit ein Konstrukt ist– ein konservatives, nationalistisches, ausschließendes Konstrukt.
Wenn man in die Geschichte schaut: Findet man Rezepte, um diesen Problemen zu begegnen?
Bildung und Aufklärung, ich weiß kein anderes Rezept. Und dass die Politik es aufgreift. Nicht immer nur die Slogans wiederholen und die Menschen gegeneinander ausspielen. Das erleben wir momentan.
Können Sie nachvollziehen, dass Menschen vor einem Kulturwandel Angst haben, weil sie glauben, dass wir vom Islam überrannt werden?
Diese Ängste hat es auch immer gegeben. Aber man sieht, dass jede ethnische Gruppe, die irgendwo eingewandert ist, sich spätestens in der zweiten oder dritten Generation vollständig assimiliert hat. Selbst wenn Kulturen innerhalb von anderen Kulturen weitergelebt werden, hat es immer zur Bereicherung beigetragen. Nehmen Sie nur als schlichtes Beispiel unserer Speisekarte. Ja, man muss auf die Ängste eingehen und den Leuten erklären, dass sie unbegründet sind, weil es noch nie deswegen zu einer Verdrängung gekommen ist. Verdrängt hat Hitler die Juden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sogar Wissenschafter lange dachten, bei uns habe es keine Migration gegeben. Wie das?
Im 19. Jahrhundert gab es sehr gute Migrationsforschung, die nach dem 2. Weltkrieg aber völlig zum Erliegen gekommen ist, weil man mit anderen Dingen beschäftigt war. In der Habsburgermonarchie mit ihren vielfältigen Handelsbeziehungen war das ganz anders. Es gab Verbindungen mit der Türkei, mit Ägypten, dem vorderen Orient und Russland.
Das war ein ständiges Kommen und Gehen?
Ja, bis zu den Dienstboten hin, die Adelige, Kaufleute oder Techniker natürlich aus der Heimat mitbrachten. Damals waren fast alle bis zu den Dienstboten hinunter zwei- oder dreisprachig. Das Interessante: Die Menschen waren damals darauf wirklich stolz, denn sie haben es in den Volkszählungen angegeben. Das ist spätestens im Nationalsozialismus völlig verloren gegangen. So viel an sprachlicher und kultureller Offenheit, die man früher gehabt hat, ist zerstört worden. Das haben wir meines Erachtens noch gar nicht wirklich verarbeitet: Warum haben wir als Nachkriegsgeneration nur deutsch, englisch und französisch auf der Agenda und keine der anderen Sprachen der Habsburgermonarchie wie slowenisch oder kroatisch? Wahrscheinlich, weil sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Angst vor den Slawen aufbaute. Genauso wie man heute sagt: "Wien wird bald islamisch sein", hörte man damals: "In 50 Jahren ist Wien eine slawische Stadt". Jetzt haben wir das 21. Jahrhundert und Wien ist eindeutig keine slawische Stadt.
Warum halten wir Österreicher, die weggehen und es in der neuen Heimat schaffen, für Helden und sprechen es den Fremden bei uns ab?
Schizophren, nicht wahr! Unsere Burgenländer, die nach Amerika ausgewandert sind, halten wir hoch, weil sie heute noch immer burgenländisch reden und im Dirndl herumlaufen – obwohl es im Burgenland nie ein Dirndl gab. Warum sind wir darauf stolz und sprechen es anderen, die zu uns kommen ab, islamische Feste zu feiern? Diese Widersprüchlichkeit wird auch nicht diskutiert.
Wann werden Migranten in der Ankunftsgesellschaft eher akzeptiert?
Die soziale Herkunft war immer ein Faktor: Je reicher man war, desto weniger Probleme hatte man. Das ist sicher ein durchgehendes Muster. Wer Geld hatte, konnte sich die Ansässigkeit mehr oder wenige erkaufen. Es gab das schöne Zitat: "Wenn sie nicht mitleiden, dann gehören sie nicht zu uns." Mitleiden bedeutete: Seinen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Das hat angefangen bei der Mitarbeit bei der Feuerwache und endete beim Steuern zahlen...
Kommentare