Rückblick auf das Jahr 1925: Der Wiener Historiker Heinrich von Srbik hat soeben seine Metternich-Biografie herausgegeben, die das Bild des Staatsmannes für fast 100 Jahre bestimmten sollte. „Kaltherzig und verschlagen“ nannte Srbik Metternichs Politik. Man kann es aber auch anders sehen: als Versuch, in einer kriegerischen Welt so etwas wie Frieden zu schaffen. Indem man die Attacken vom Schlachtfeld auf den Verhandlungstisch verlagert. Schach statt Krieg.
„Angehöriger des Hochadels, ein Deutscher in Diensten der Habsburger, extrem gebildet, das Nationale ist ihm fremd, denn er denkt in großen Dimensionen. Heute würde man sagen: ein früher Globaldenker. Und ein diplomatisches Genie“, so Wolfgang Maderthaner weiter.
Auch Stefan Müller, Historiker und Autor (Der kleine Metternich), meint, dass das Metternich-Bild gerade in Österreich noch zu negativ sei: „Egal, wie man ihn politisch bewertet – er war einer der besten Diplomaten, die wir je hatten. Ein Meister seines Faches. Was er wirklich konnte war, den Krieg mit Worten und Machtpolitik verhindern.“
Kriegstrauma
„Ich hasse den Krieg“, hat Metternich einmal gesagt, „und alles, was er mit sich bringt, das Morden, die Schmerzen, die Schweinereien, die Plünderungen, die Leichen, die Amputierten, die toten Pferde – und die Vergewaltigungen. Er besudelt alles, sogar das Denken, und ich ringe sehr darum, dass das nicht mir passiert.“
Als Metternich jung war, war Europa in einem erbärmlichen Zustand. Mehr als zwei Jahrzehnte lang waren die größten Armeen aller Zeiten kreuz und quer durch Europa gezogen und aufeinander losgegangen, hatten geplündert und gebrandschatzt. „Metternich litt immer unter dem großen Trauma der napoleonischen Eroberungsfeldzüge, die Europa an den Rand des Abgrundes gebracht hatten“, analysiert Maderthaner. Der Staatsmann stemmte sich also mit aller Macht gegen jede „revolutionäre Umgestaltung feudaler Verhältnisse, wie sie damals überall in Europa herrschten“. Nein, ein Demokrat war Metternich nicht.
Gäbe es nur Politiker wie ihn, dann wäre Europa wohl bis heute von Monarchen regiert. Es stünde schlecht um Pressefreiheit und Volkssouveränität. Gäbe es aber keine Politiker wie ihn, wer würde dann aufräumen, was all die Napoleons dieser Welt anrichten?
Metternich reloaded
Und hier kommt Maderthaner zu jenen Dingen, die wir heute von Metternich lernen können: „Man kann Frieden schaffen ohne Waffen, eine Staatenkonstellation bauen, die alle Beteiligten zufrieden stellt, wo jeder sagt: Damit kann ich leben.“ Am Wiener Kongress, den Metternich leitete, habe man Frankreich nicht gedemütigt – ganz anders als Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. „Man hat es als gleichberechtigten Partner mitverhandeln lassen.“
Historiker Müller ergänzt: „Metternich hat Europa erfunden." Natürlich habe das, was da am Wiener Kongress entstanden ist, nichts mit der Europäischen Union zu tun. Aber:
„Er glaubte fest daran, dass es übernationale Interessen gibt, die alle Staaten verbinden. Und die sollten über dem nationalen Kleingeist stehen. Er machte sich Gedanken darüber, wie Staaten gut miteinander auskommen“, ergänzt Müller.
Ukraine und Metternich
Das Erbe Metternichs? „Eine Lektion, wie man einen Frieden richtig organisiert. Etwas, das Europa bald wieder brauchen wird. Frieden kommt nicht aus dem Nichts – man muss etwas dafür tun“, meint Müller in Anspielung auf den Krieg in der Ukraine. „Auch heute wird man wieder ein Gleichgewicht der Kräfte brauchen und jemanden, der das organisiert. Die Staaten müssen miteinander auskommen – egal, ob sie verschiedene Werte haben, Demokratien oder Diktaturen sind.“
Übrigens: US-Außenminister Henry Kissinger, der Großmeister der amerikanischen Geopolitik, schätzte die hellen Seiten des Staatsmannes in Habsburgs Diensten. In den 1950er-Jahren schrieb er seine Doktorarbeit über Metternich. Und in den 1970er-Jahren konnte sich die Welt über Entspannungspolitik freuen.
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