Russland-Experte: "Prigoschin ist krank"

Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin 
Der russische Präsident habe zu lange an dem Wagner-Chef festgehalten, meint Osteuropaexperte Stefan Meister.

"Ich glaube, er ist krank, psychisch in keinem guten Zustand." Das sagte heute, Montag, der Osteuropaexperte Stefan Meister vor der Auslandspresse in Berlin über den Anführer der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin.

Dieser sei jemand, der über Social Media zur Bekanntheit geworden sei, aber keine Macht habe. "Er steht für einen Zustand der Verrohung, den wir in Russland sehen", sagte der Experte.

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Stefan Meister ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Für ihn ist Prigoschin eine unberechenbare Figur, die zu allem bereit sei und an Gewalt Freude finde. "Wie kann man jemanden so lange so frei laufen lassen", fragte Meister. "Das zeigt den Zustand des Systems, und es wird seinen Preis zahlen müssen."

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Prigoschins Aktion bedeute für ihn "eine Art black swan, mit dem niemand gerechnet hat, auch nicht das russische System, das ein sehr personifiziertes System ist", auf Präsident Putin konzentriert.

Bei der Einschätzung, was tatsächlich hinter den Vorgängen der letzten Tage steckt, blieb der Russland-Experte vorsichtig: Es gebe viele Ungereimtheiten, etwa die Vermittlerrolle des belarussischen Präsidenten Lukaschenko betreffend, "der eigentlich keine Macht hat. Das wirkt inszeniert.

Dann Putins Rede, der nicht zu wissen schien, was da läuft." Es habe die Anweisung von ganz oben gefehlt. Der Ablauf löse in ihm eine gewisse Skepsis aus, insgesamt halte er aber die Vorgänge für echt, sagte der DGAP-Vertreter.

"Putin war der einzige, der Prigoshin noch geschützt hat. Er hat ihn zu spät fallen gelassen", so Meister. Die Angriffe der russischen Armee auf Wagner-Stellungen seien die Freigabe gewesen, ihn auch eventuell umzubringen. Prigoschin habe das System herausgefordert und Wahrheiten über den Krieg ausgesprochen, die niemand gewagt hätte. "Also musste ihn das System sanktionieren."

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Privatarmeen

Das Businessmodell der Privatarmeen stehe in Russland allerdings derzeit unter Druck. Neue Privatarmeen entstünden aufgrund des Krieges, "das sind teilweise Entwicklungsmodelle für arme Regionen, da wird vom Verteidigungsministerium viel gezahlt um Leute zu bekommen". Das Businessmodell von Wagner, versteckt zu agieren, sei hingegen obsolet geworden. Der Staat versuche, diesen Wildwuchs zu beenden und das Machtmonopol zurückzubekommen.

Skeptisch zeigte sich Meister gegenüber der Einschätzung, dass alles ein Manöver gewesen sein könnte, um die Ukraine mit Wagner-Truppen von Belarus aus anzugreifen. Sie seien aufgrund des Krieges zu geschwächt.

Enormer Prestigeverlust für Putin

Für Putin bedeute die Aktion "einen enormen Prestigeverlust". Die USA schienen schon die ganze Woche von den Vorgängen informiert gewesen zu sein, Russland angeblich nicht. "Vielleicht drang die Information nicht bis Putin vor." Man sehe daran, wie die Machtvertikale funktioniert habe. "Alles hängt von Putin ab. Wenn er nicht handlungsfähig ist, kann das System nicht funktionieren", sagte Meister.

"Ich glaube, dass Prigoschin das gemacht hat, weil er keinen Zugang mehr zu Putin hatte." Es sei die Schwäche des Systems, weil es keinen Austausch mehr gebe. Es bestünden große Brüche, auch ein Putsch sei möglich. "Dieser Stresstest wird nicht der einzige sein. Der Krieg ist Anfang vom Ende dieses Systems in Russland, aber das kann noch Monate, Jahre dauern."

Einen Angriff auf das Atomkraftwerk von Saporischschja durch Russland hält der DGAP-Experte für demnächst möglich: "Ein inszenierter Unfall würde es sein, wie beim Staudamm." Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist für Stefan Meister Ausdruck eines zynischen Systems, das auch die eigenen Leute nicht schone.

"Wir sehen eine völlige Entgrenzung der russischen Kriegsführung. Auch in der Defensive sind sie bereit, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun. Sie verschieben langsam die rote Linie, und die Taktik geht offenbar auf."

Den Einsatz taktischer Atomwaffen hält er hingegen für einen "Gamechanger, der auch für China und Indien nicht akzeptabel wäre".

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