Ein Putschversuch in 36 Stunden: Chronik eines Kurzaufstands

Ein Putschversuch in 36 Stunden: Chronik eines Kurzaufstands
Schon am Freitagvormittag begann Prigoschin, auf Telegram zu drohen. Dann marschierte er auf die Hauptstadt – bis zum überraschenden Deal. Der zeitliche Ablauf im Detail.

Ziemlich genau 36 Stunden lang stand Russlands Präsident Wladimir Putin vor der größten Herausforderung seiner 23-jährigen Herrschaft. Kurz vor der endgültigen Eskalation fand der Aufstand des Wagner-Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin ein so überraschendes wie rätselhaftes Ende.

Der Versuch einer Rekonstruktion der Ereignisse:

  • Freitag, 11:00 Uhr: Prigoschin tobt auf Telegram

In einem rund 30-minütigen Video, in dem sich Prigoschin im T-Shirt vor der schwarz-roten Flagge seiner Wagner-Söldner präsentierte, wirft er der russischen Militärführung vor, einen Luftangriff auf seine Truppen angeordnet zu haben. Bis zum Abend folgt eine Reihe immer härterer Aussagen in Videos und Sprachnachrichten, bis Prigoschin um 21.49 Uhr droht, er werde „das Böse, das von der militärischen Führung hervorgebracht wurde“ stoppen: „Wer versucht, uns Widerstand zu leisten, den werden wir als Bedrohung betrachten und sofort töten.“

  • Freitag, kurz vor 00.00 Uhr: Haftbefehl gegen Prigoschin

Russlands Geheimdienst FSB spricht kurz vor Mitternacht einen Haftbefehl gegen Prigoschin wegen des „Verdachts der bewaffneten Rebellion“ aus. Gleichzeitig verbreiten sich online Videos, auf denen zu sehen ist, wie die Nationalgarde Regierungsgebäude in Moskau und der südöstlichen Großstadt Rostow sichert, wo das militärische Kommandozentrum für den Ukraine-Krieg untergebracht ist.

  • Samstag, 07.30 Uhr: Prigoschin nimmt Rostow ein

Frühmorgens verbreitet Prigoschin via Telegram ein Video, das ihn in sandfarbener Uniform in einem Innenhof. „Wir haben alle militärischen Einrichtungen in Rostow unter unsere Kontrolle gebracht, auch den Militärflughafen“, so der Söldnerchef. „Damit können hier keine Luftangriffe gegen uns ausgeführt werden, sondern nur gegen die Ukrainer.“

Videos von Bewohnern zeigen absurde Bilder: Wagner-Kämpfer regeln an wichtigen Kreuzungen den Verkehr, trinken Kaffee und stellen sich in voller Kampfmontur im Supermarkt in der Schlange an. In einem Video ist jedoch auch ein Schusswechsel zu hören.

  • Samstag, 09.30 Uhr: Marsch auf Moskau beginnt

Während einige Söldner mit Prigoschin in Rostow bleiben, steigt der Rest in die gepanzerten Fahrzeuge und fährt nach Norden Richtung Moskau. Weiter nördlich stoßen weitere Wagner-Truppen aus der Ostukraine dazu, insgesamt soll der Konvoi knapp 20 Kilometer lang sein. Prigoschin spricht inzwischen von einem „Marsch der Gerechtigkeit“.

  • Samstag, 10.00 Uhr: Putin spricht von "Meuterei"

In einer rund fünfminütigen Ansprache wendet sich Putin an das russische Volk. Er spricht von einer „Meuterei“, begangen von „Verrätern“, Prigoschin nennt er in seiner Rede nie beim Namen. Gegen 11.00 Uhr antwortet der Wagner-Chef auf Telegram: Seine Männer seien „Patrioten“, deshalb werde sich „niemand ergeben“.

  • Samstag 11.12 Uhr: Chaos in Russland

Während die Nationalgarde das Hauptquartier der Wagner-Gruppe in St. Petersburg stürmt, rücken die Söldner immer weiter vor – scheinbar ohne großen Widerstand. Inzwischen melden russische Medien, Prigoschins Truppen hätten drei Armee-Helikopter und ein Transportflugzeug abgeschossen. Im Norden wird alles unternommen, um die Autobahn nach Moskau zu blockieren: Abgestellte Lkw, Aufgeschütteter Sand sowie Zementblockaden.

  • Samstag, 11.42 Uhr: Explosion in Woronesch

In der Großstadt Woronesch kommt es zu einer gewaltigen Explosion, offenbar ausgelöst durch einen Luftangriff der russischen Armee auf ein Öldepot.

  • Samstag, 14.00 Uhr: Kadyrow mischt mit

Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow gibt an, seinerseits 3.000 Paramilitärs entsandt zu haben, um Moskau zu verteidigen und Wagner zu stoppen.

  • Samstag, 18.15 Uhr: Freier Tag in Moskau

Der Moskauer Bürgermeister erklärt den Montag zum arbeitsfreien Tag. Der Wagner-Konvoi erreicht inzwischen die Grenzen des Oblasts Moskau, Knapp 300 Kilometer von der Hauptstadt entfernt.

  • Samstag, 20.15 Uhr: Lukaschenko verkündet Deal

Als die Söldner nur noch knapp 200 Kilometer vor Moskau sind, verkündet der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko plötzlich, er habe mit Prigoschin verhandelt – und der habe den Befehl zum Umdrehen gegeben. Keine zehn Minuten später bestätigt Prigoschin, den Befehl gegeben zu haben, erwähnt aber Lukaschenko nicht. Er meint stattdessen, er habe kein „russisches Blut“ vergießen wollen.

  • Samstag, 23.00 Uhr: Exilpläne werden bekannt

Putins Sprecher Dmitri Peskow teilt mit, dass das Strafverfahren gegen Prigoschin sowie alle an dem Marsch beteiligten Wagner-Söldner eingestellt wurde. Sie alle würden nach Belarus gehen, der Rest der Wagner-Truppen, der nicht beteiligt war, werde dem Verteidigungsministerium unterstellt. Lukaschenko preist sich in Misnk inzwischen selbst und verkündet, Putin hätte ihn persönlich angerufen, um sich zu bedanken.

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